58 Zeilen Poetenlob

Wider das Poetelnde in der deutschen Lyrik: Jakob Stephan bittet zur „Lyrischen Visite“

„Es gehört zu den seltsamen Erfahrungen im Umgang mit dem Literaturbetrieb, dass das Schreiben über die Tücken der Lyrik mehr bringt als das Verfassen von Versen selbst: Mehr Leser, mehr Umsatz, mehr Ansehen“ – dachte der Lyriker Steffen Jacobs missmutig, schuf sich flugs einen vierzig Jahre älteren Wiedergänger, den „allzeit dienstbaren Lyrik-Doktor“ mit dem losen Anagramm Jakob Stephan, und ließ diesen vierteljährlich eine Kolumne in der Neuen Rundschau vollschreiben.

Anspielungsreich, mit ironisch gebrochener Altväterlichkeit im Ton, dabei immer spöttelnd, nimmt er sich die „Tücken der Lyrik“ und nicht zuletzt auch des Lyrikbetriebs zur Brust, die Rezensions-Seilschaften, Literaturpreis-Schachereien etc. Dass ihm dabei die Suhrkamp-Klüngelei besonders auffällt, weil er als Fischer- und nun Haffmans-Autor daran nicht teilhat, mindert das Lesevergnügen kein bisschen. Und auch dass sein Alter ego die Chuzpe besitzt, das lyrische Ich Steffen Jacobs zu würdigen, nimmt man ihm nicht wirklich übel, weil das alles mit so abgefeimtem Charme vorgetragen wird, die man seit dem legendären „Lyrikschlachthof“ Leslie Meiers alias Peter Rühmkorfs nicht mehr gelesen hat.

Auch poetologisch ist dies die Referenzgröße. Stephan/Jacobs verteidigt das realitätsgesättigte und dennoch kunstfertige Alltagsgedicht – und zwar sowohl gegen das Poetelnde, dieses melancholische Geraune, wie gegen die bloße experimentelle Sprachbosselei Frankfurter Provenienz. Zu seinen Hausgöttern zählen neben den unvermeidbaren Gernhardt, Enzensberger, Rühmkorf auch Philipp Larkin und Nicolas Born. Und Metallica.

FRANK SCHÄFER

Jakob Stephan: „Lyrische Visite oder Das nächte Gedicht, bitte!“ Haffmans Verlag, Zürich 2000, 365 Seiten, 44 DM