: „Vom Held zum Invalid“
Klassische Versmaße hin, utopische Perspektive her: Die Oktoberrevolutionen von 1917 und 1989 markieren seinen Zenit. Der Lyriker Peter Hacks und seine neu aufgelegten gesammelten Gedichte
von RÜDIGER WARTUSCH
Das Konkret-Tribunal tagte und gebar drei Mäuse, pardon, Meinungen. Erstens: Hacks ist eine linke Sau. Zweitens: Hacks ist eine rechte Sau. Drittens: Gedichte müssen auch ohne Politik funktionieren. Letzteres will auch mir rechtens dünken, wenn ich mir die gesammelten Verse des Mannes vornehme, der noch im 21. Jahrhundert von der DDR (*1949 +1990) spricht. Bereits 1988 erschien das lyrische Vermächtnis im Aufbau Verlag. Dessen drei Abteilungen der Liebesgedichte, Gesellschaftsverse und Lieder zu Stücken werden im vorliegenden Opus komplett und fast getreu wiedergegeben (statt „Historien und Romanzen“ lies: „Kunstformen der Geschichte“).
Doch der alte Aufbauband wurde kräftig angereichert. Gut siebzig Ergänzungen zu allen drei Sparten hat der Nachoktober gezeitigt: die 16 Gedichte aus „Orpheus in der Unterwelt“, sieben „vermischte“ Liebeslieder und ein paar Handvoll gesellschaftsrelevante Poeme plus den großen Komplex „Jetztzeit“. Leider hat die Edition Nautilus versäumt, durch entsprechende Ordnung oder kurze Notizen eine chronologische Lektüre zu ermöglichen. Womit nicht gesagt sein soll, dass man nicht merkte, welchem Fünfjahrplan ein Poem entsprang. Aber gedacht sein will. Denn Hacksens sozialistische Klassik für eine zunehmend postrevolutionäre DDR wirkt auch heute noch irgendwie süß mit ihrem Apologetenton. Klar löst sich der 1955 nach Ost-Berlin Rübergemachte irgendwann von Brechts Didaktik, dann auch von dem aporistischen Heiner Müller, neben dem und Volker Braun er zu den Großen im Osten zählte. Doch eigentlich war der 88er-Band erstaunlich konsistent. Das zeigt die Gruppe der Stücke, erfolgreiche Brechtiaden, in die nach dessen Manier auch Lieder eingelegt sind, etwa das sinnige: „welch kleiner Schritt vom Held zum Invalid“, oder das rhythmische: „Wir scheißen, / Wir scheißen, / Wir scheißen auf den Krieg.“
Doch richtig los geht's ohnehin erst mit den Gesellschaftsversen, zunächst den historischen, die mit Anmerkungen versehen sind und eine probate Uminterpretation der Geschichte vollziehen. Hier setzt er sich in Relation zu Scipio, verbeugt sich vor Heine, widmet sich Nietzsche und auch mal Tolstoi. Hier präsentiert er Reime zwischen Goethe und Bütt. Hier feuert er eine formale Breitseite ab: Distichen, Sonette, Couplets, Sizains, Stanzen – und was der Setzkasten der Poeterey so alles hergibt. Der Geschichte folgt die Gegenwart, sprich: die Welt, lies: die DDR. Das „Glück des Sozialismus“ will er loben und die „Wahrheit der Presse“ einklagen – recht so! Nur weiß er sich dabei zu überschätzen: „Schwer hat er neu sein, der Kleine. Alle abscheulichen Stücke / Schrieb Heiner Müller bereits, alle erhabenen ich.“ So träumt er seinen all- und umschlagseitig zitierten „Tagtraum“ und lächelt dabei „als wär's / Jene Sonne noch Homers.“ Ganz dicke kommt's, wenn er als guter Heimatlicher die märkische Scholle aus Sicht der „Mauer-Power“-Generation preist. Schön anzusehen ist ja noch, wie ein Priap neben „unsre rote Flotte“ zu stehen kommt, doch, im Ernst, für ein paar Altmark mehr verliert sich Hacks in Regionalismen!
Den Umbruch zwischen der ostzonalen und der postzonalen Phase markiert „Jetztzeit“, das ganz konkret gegen die „Schreckenswende“ in Anschlag gebracht wird. Noch einmal macht er „Rot Front“ gegen Produktionsverhältnisse, Kapital und pipapo; doch während „Der Feind steht oben“ noch traditionell links tönt, kommt Hacks mit „Gorbatschows Verrat“ rechts wieder raus. Richtig fortschrittlich wirkt das nur noch, wo er mit „Komputer“ schon die nächste Reform antizipiert. Überhaupt: Lenin und Ulbricht, Sowjetunion und DDR – schön und gut; aber nun ausgerechnet gegen Clinton zu wettern, das verrät doch einen erheblichen Mangel an Siegermentalität, wie er dem Goten als solchem (auch er breitengradig geteilt) eignet: „Als Sieger drang er in Italien ein. / Nach sieben Wochen sprach sein Sohn Latein.“ Zum geruhsamen Abschluss folgt eine Ladung Liebeslyrik, ganz süß, zuweilen hübsch obszön, doch selten originell: „Ehret, rat ich, die Frau, doch entzieht ihr die Fernsprecherlaubnis.“ Auch der stete Rekurs auf die primären Geschlechtsmerkmale wirkt erschlaffend. In dem Mangel an adäquaten Gegenständen liegt vielleicht Hacks' größtes Problem: in dem Ende einer Geschichte, die auf ein Ende der Geschichte hoffen ließ.
Klassische Versmaße hin, utopische Perspektive her, die Oktoberrevolutionen von 1917 und 1989 markieren seinen Zenit. Ungeachtet dieser Einschränkung liefert Peter Hacks, einer der großen deutschen Nachkriegsdramatiker, sinnliche, auch komische und zugleich feierliche Verse, die den Werkzeugkasten der Dichter ausloten, dabei jedoch gerade im Durchbrechen des Schematischen ihre Kunst entfalten. Die Neuausgabe in der Edition Nautilus fasst ein kleines Oeuvre zusammen – mehr nicht. Sie bringt keinen Kommentar, kein Wort zu Rezeption und Umstrittenheit dieser Gedichte, nicht einmal einen Hinweis auf die Reihenfolge ihrer Entstehung. Dabei ist es nicht unwichtig, zu wissen, wann etwa ein Vers wie „Brandt war Ulbrichts Noske“ geschrieben oder zumindest erstveröffentlicht wurde!
Was zudem fehlt, sind die Kinderlieder, etwa aus „Flohmarkt“ und den Onkel-Titus-Geschichten. Dieses rabenschwarzrotgoldne Buch versammelt keineswegs nur politisch motivierte Gedichte, die ohne Politik kaum mehr als Handwerk sind. Hacksens postrevolutionärer Klassizismus produziert vielmehr eine heile Welt „ohne das Gezänk der Widersprüche“, heimelig wie einst ein Mauerschützenverein.
Peter Hacks: „Die Gedichte“. Edition Nautilus, Hamburg 2000, 480 Seiten, 68 DM
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