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Der Herr der Seifenblasen

In der Evangelischen Akademie spricht heute Poser-Philosoph und Hohlist Peter Sloterdijk über den „humanen Traum“  ■ Von Christian Schuldt

Die Intellektuellen der Nation waren aus dem Häuschen: Einer der ihren rief zur „Menschenproduktion“ auf. In seiner mittlerweile berühmt-berüchtigten Elmauer Rede im Juli 1999 plädierte der Philosoph Peter Sloterdijk, ausgehend von Heideggers Bild des Menschen als „Hirte des Seins“, für die Umstellung vom „Geburtenfatalismus“ auf „pränatale Selektion“. Prompt bliesen die Wertewächter des Landes, durchtrainiert noch von der Moralkeulen-Debatte, zum Halali auf das schwarze Schaf. Viel Lärm um wenig, denn bis auf einige skandalträchtige Tabuwörter ist der Text äußerst harmlos: Abgesehen davon, dass sein Verfasser von Humangenetik keinen blassen Schimmer hat, dokumentiert er vor allem eine Verliebtheit in die eigenen Formulierungen.

Diese narzisstische Neigung ist bei Sloterdijk altbekannt. Seit langem führte der in Hamburg promovierte Literaturwissenschaftler ein auskömmliches Dasein als eine Art Eulenspiegel der Philosophenfraktion: Gleichsam in Heideggers Schwafelstapfen tretend, entwickelte Sloterdijk ein talkshowtaugliches Talent zum Schwadronieren. Den Freibrief zum Faseln stellte er sich 1983 mit dem Bestseller Die Kritik der zynischen Vernunft quasi selbst aus: Die fies-vernünftigen Zyniker à la Kant und Hegel wies er auf die Plätze und feierte die heiter-freidenkerischen Kyniker.

Bewaffnet mit verschwurbelten Formulierungen, gab Sloterdijk von da an den selbst ernannten Welterklärer. Der Erfolg dieses Unternehmens – jüngst wurde Sloterdijk zum Berater des Suhrkamp-Wissenschaftsprogramms ernannt – ist umso erstaunlicher, als dass Sloterdijks Eigendenken erstaunlich unoriginell und eher als Wissenschaftskitsch zu bezeichnen ist. So wartet auch die Elmauer Rede vor allem mit Paraphrasen auf – und hat als eigentliches Thema weniger die heikle Selektion als eine müde Kulturkritik: Der „amerikanisierten“ Massenmediengesellschaft, so Sloter-dijk, sei die elementare Seinstiefe abhanden gekommen.

Auch wenn die Züchtungs-Szenarien also mehr eine Grille des Ganzheitsfanatikers sind, der ein Unbehagen an der Medienmoderne verspürt und in diffus-barbarische Visionen flüchtet, waren Sloterdijks biogenetische Beigaben ein gefundenes Fressen für die Feuilletons. Die Moralvirtuosen erhoben Anklage wegen Faschismusverdacht, und die Wellen im Diskurs-Ozean schlugen wieder einmal hoch. Geradezu unkynisch-humorlos witterte Sloterdijk daraufhin eine Verschwörung gegen sich. Der Anführer war schnell ausgemacht: Jürgen Habermas, politisch stets korrekter Oberaufklärer der Frankfurter Schule, deren Kritische Theorie Sloterdijk für „gestorben“ erklärt hatte. Die Fehde der Philosophen nahm mitunter eigenartige Züge an, etwa wenn Habermas seinen Kontrahenten in Form von Leserbriefen an die Zeit rügte. Inhaltlich brachte die zum Superdisput hochstilisierte Debatte allerdings wenig Anregendes, zumal die Frage nach dem Einfluss von Gentechnik und Biomedizin auf das künftige Menschenbild kaum eine Rolle spielte.

Sloterdijk aber dürfte zufrieden sein, denn mit seinen Thesen hat sich der PR-Profi prächtig ins Gerede gebracht. Davon dürfte auch der Absatz seiner jüngsten Publikationen, den Sphären-Bänden I („Blasen“) und II („Globen“), profitieren, in denen sich Sloterdijk einmal mehr als Poser-Philosoph outet. So behauptet der Nichtanalytiker, jede Kultur sei sphärisch gebaut und die Welt ein einziges Kreisen und Kugeln. Diesen geistigen Kugelblitz verpackt Sloterdijk in ein derart hohles Geblubber, dass es jedem Esoterik-Schmarrn zur Ehre gereichen würde – etwa wenn das Möchtegerngenie von der „Polarisierungsenergie der Mit-Auch-Sphäre“ murmelt, die „Mutterleibsversenkung“ propagiert und mit pries-terlichem Pathos die Plazenta preist. Der verblasene Sphärensingsang lehrt einmal mehr: Sloterdijks Sphäre ist die der Seifenblasen.

Wer das live bezeugen will, sollte heute Abend in die Evangelische Akademie kommen. Im Rahmen der Vortragsreihe „Was ist Menschlichkeit?“ spricht Sloterdijk mit Radio Bremen-Redakteur Ezzelino von Wedel und Akademie-Direktor Wolfgang Teichert über den „humanen Traum“. Gute Nacht.

heute, 19 Uhr, Evangelische Akademie, Esplanade 15; Peter Sloterdijk: „Sphären I. Blasen“, Suhrkamp, Frankfurt/M. 1998, 644 Seiten, 49,80 Mark, „Sphären II. Globen“, 1999, 1013 Seiten, 64 Mark

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