: Guildo wohnt bei Gott
■ Die taz im Selbstversuch: Ein Abend bei „ProChrist 2000“ in der Bremer Stadthalle/„ProChrist“-Chefprediger Ulrich Parzany stellt Hiob vor seine schwerste Prüfung
In Gottes Haus ist mal wieder ein Zimmer frei. Hiob hatte endgültig die Schnauze voll und ist aus der WG ausgezogen. Seinen Mitbewohner, diesen Fernsehpriester Ulrich Parzany – Dieter Thomas Heck plus eine Hand voll deutscher Demagogen – von der Massenevangelisations-Aktion „ProChrist“, hat er nicht länger ertragen. Mit dem zusammenwohnen war wie 365 Tage im Jahr „ProChrist 2000“ im Haus – und nicht nur sieben wie derzeit in der Bremer Stadthalle (die taz berichtete). Hiob kann eigentlich nichts mehr erschüttern, da er schon einige Schicksalschläge erlitten hat (die Bibel berichtete), aber diese Prüfung Gottes war zu viel für ihn. Am meisten hat ihn genervt, dass Parzany nie begriffen hat, wie stark er nach den ganzen Katastrophen an der Existenz Gottes gezweifelt hat. Aber von Zweifeln wollte sein Mitbewohner nichts hören.
„Glaubens-Zweifel spielen bei Veranstaltungen wie ,ProChrist' keine Rolle“, sagt Pastor Louis-Ferdinand von Zobeltitz von der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK). Daher würde die BEK die Massen-Veranstaltung zwar „in kritischer Solidarität“ unterstützen, aber auch für ihr relativ enges Glaubensverständnis kritisieren. Menschen, die an dem Wahrheitsgehalt der „ProChrist“-Plakate „Gott ist da“ zweifeln, würde nicht entgegengekommen werden.
Die landeskirchlichen und freikirchlichen Gemeinden in der ProChrist-Veranstalterin „Evanglische Allianz“ gehören laut Zobeltitz zum evangelikalen Spektrum und sind der pietistischen Tradition verpflichtet. Diese stellt die persönliche Beziehung zu Christus sowie ein Bekehrungserlebnis in den Mittelpunkt ihres Glaubens. „Die Gefahr dabei ist, dass anderen Glaubensrichtungen das wahre Christ-Sein abgesprochen wird, weil diese als nicht aussagekräftig genug eingestuft werden.“ Zobeltitz veranschaulicht diese Engstirnigkeit mit einem Verweis auf das Bibelzitat von den vielen Zimmern in Gottes Haus: „Die sind unterschiedlich möbliert.“ Bei den ProChrist-Evangelikalen gäbe es nur eine Möblierung.
Über die Möbel wäre sich Hiob mit Parzany vielleicht noch einig geworden, aber nicht über die Musik! Zu jeder Tageszeit plätscherte aus Parzanys Zimmer diese Melange aus Grand Prix-Schmachtfetzen und christlichen Gemeinplätzen nach dem Motto: „Egal wie dreckig es dir geht, Jesus ist bei dir“ Und dann die Plakate in der ganzen Wohnung! Überall plärrte es „Gott ist da, Gott ist da!“
Die katholische Gemeinde in Bremen findet nach Auskunft ihres Sprechers, Wilhelm Tacke, vor allem die Nähe zu amerikanischen Fernsehpredigten problematisch. Tatsächlich hat die per Satellit in 1.100 Orte übertragene Abendveranstaltung den Charakter einer amerikanischen Fernsehshow. Bunte Farben, ein hypnotisierender Lichterkranz hinter der Bühne – Laser oder Gott –, Liebesliedchen über den Heiland und vor allem: warme Worte.
„Schöne Grüße nach Kroatien und Kaliningrad – das hieß früher mal Königsberg“ begrüßt der Moderator unsere ZuschauerInnen an den Fernsehbildschirmen. Es folgen begeistert aufgenommene Erfolgsmeldungen vom Typ: „Die erste Entscheidung für Jesus fiel im Internet!“ Oder: „In Laichingen wurden 320 Stühle aufgestellt und 600 sind gekommen!“ Sinn und Zweck der Effekthascherei: Einlullen mit allen Mitteln. Fernseh-shows haben in der Regel auch keine anderen Folgen.
An diesem Punkt setzen die Bedenken der katholischen Kirche ein, erklärt Tacke. „Es darf nicht bei einer reinen Begeisterung bleiben; die Arbeit muss in den Gemeinden stattfinden“. Um viel mehr als dem Erzeugen von Begeisterung ging es bei „ProChrist“ am Montagabend nicht. Die in Broschüren angekündigte Antwort auf die brennende Frage „Grenzenloses Elend – abstumpfen oder abhelfen“ blieb Parzany an diesem Abend schuldig. Hiob haben die Behauptungen „Gott ist da“ und „Jesus liebt dich“ offenbar nicht gereicht, und er hat sich nach Thailand abgesetzt. Damit Gott sich nicht mit der Nachmietersuche stressen muss, hat er Ersatz beschafft. Der passende Mitbewohner für Parzany war schnell gefunden: Guildo Horn hat auch schon mal die Massen in der Stadthalle euphorisiert und seine Botschaft war in etwa die gleiche: Piep, piep, piep, Gott hat euch lieb.
Eiken Bruhn
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