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Die schwedische Projektion

Im Wohnzimmer des progressiven Alltags: Eine Ausstellung in Frankfurt dokumentiert die Erfolgsgeschichte von Ikea. Wer sie begreifen will, muss selbst darauf gesessen haben

Von ULF ERDMANN ZIEGLER

Erstaunlich, dass die FDP in Frankfurt ihr schwindendes Selbstbild als „Democratic Design“ plakatieren ließ. Der zweite Blick offenbarte, dass mit dem ins Grelle verrutschten Gelb und Blau die Farben Schwedens gemeint waren. Und ferner, dass das Plakat die Gründung der ersten deutschen Dependance des „unmöglichen Möbelhauses aus Schweden“ vor 25 Jahren zum Anlass hat. „Diese Ausstellung“, liest man an der Wand des Museums für Angewandte Kunst in Frankfurt, „wurde von der Ikea Deutschland GmbH in Zusammenarbeit mit dem Vitra Design Museum konzipiert.“

Es folgt ein Paradox. Weil alle wissen, was Ikea ist, zieht die Ausstellung gleich am ersten Wochenende Horden von Besuchern an, die offensichtlich wissen wollen, was Ikea ist. Die schwedische Vorgeschichte des Unternehmens ist repräsentiert durch geräumige Container, deren Plastikbespannung Motive aus dem Birkenland zeigt. Lugt man durch kreisrunde Öffnungen ins Innere, wird in eher groben Installationen anschaulich gemacht, wie Ikea im damals ärmlichen Milieu Smålands als Factory-Outlet gegründet und 1965 in Stockholm als Billigmöbelhaus und Ausflugsziel verankert wurde. Im nächsten Jahr bot Ikea das erste rohe Systemregal aus Kiefernholz an, das zunächst Uffe, dann Ivar getauft wurde.

Damit vermischen sich zwei Legenden, von denen Ikea lange gezehrt hat. Erstens kommt diese Fima quasi aus dem Wald. Sie hat eine privilegierte Beziehung zur Natur. Und zweitens bietet sie Produkte an, die qua Definition nur ein Teil der Sache sind; der andere ist die häusliche Montage. Auch wer nur ein einziges Regal erwirbt, gehört – metaphorisch gesprochen – zum System.

Die Idee des Systems haben die Gestalter der Ausstellung aufgegriffen. Für den deutschen Teil der Erfolgsgeschichte sind die Birkenwäldchenmotive durch transparente Folien ersetzt worden, die in das gestanzte Alugerüst eingeclippt werden wie Lastwagenplanen: die Museumsvitrine im praktischen Stil der Spedition. Bei einer Tiefe von einem Meter fünfzig bleibt nicht wirklich Platz für Gestaltung. Das Sofa Klippan von 1980, stellvertretend für die Zeitenwende in fröhlicher Postmodernität, wurde hochkant eingestellt.

Die Wiederbegegnung mit den Sauriern der Ikea-Kultur ist keineswegs reine Freude. Die klobigen Klappmöbel von Gillis Lundgren – Sofa Kontiki – lassen nachträglich die Frage aufkommen, ob der Abschied von der Allzweckmatratze wirklich notwendig war. Der grauweiße Baumwollstoff, der später als Futonbespannung allgegenwärtig wurde, musste auch Karin Mobrings Stahlrohrgestell Krumelur von 1972 in eine Sitzgelegenheit verwandeln.

Obwohl Ikea of Sweden in Älmhult – also das Stammhaus – als Leihgeber fungiert, ist der Krumelur aufs Schauerlichste durchgesessen. Offenbar hatte der entstehende Konzern keinen Begriff von seiner Geschichte und sah die Produkte seiner Gestalter nicht als Design an. Sie gingen sämtlich als angewandte Arte povera in den Gebrauch über, wo sie sich gerade in Deutschland als Generationssymbole durchsetzen ließen. Die Ausstellung ist weit davon entfernt, die Sozialgeschichte der verlängerten Jugend zu vermitteln, die damit zwangsläufig verbunden ist. Wer die getürmte Fracht in den Containern des „Democratic Design“ begreifen will, muss selbst dabei gewesen sein.

Die schwedische Projektion ließ sich aufrechterhalten, obwohl Ikea die Herkunft der Möbelteile aus den Billigländern dieser Erde freiweg deklarierte. Während konkurrierende Anbieter Vermögen eingesetzt hätten, um als „Idee“ durchzugehen (statt als Geschäft), setzte Ikea neben die ärmliche Variante die behagliche, ergänzte moderne Kanten durch rustikale Bögen, konkurrierte beflissen auf dem Sektor gesichtsloser Computermöbel und lieferte dem Jubiläum dann schon Kommoden, die mit Folien beklebt sind – Birkenholzimitat.

Vielleicht geht es gar nicht um Dinge, sondern um die Methode, wie sie zu den Menschen kommen. Der Katalog, inzwischen weltweit verbreitet in einer Auflage von 90 Millionen Stück, zum Beispiel, argumentiert. Er offeriert „policy“. Die Kästen an der Autobahn sind beruhigende Zeichen in der politischen Landschaft. Kinder werden betreut. Die Präsentation arbeitet sanft, aber bestimmt gegen Klaustrophobie. Kein Dritter greift ein in die Dynamik eines nahezu kompletten Selbstbedienungsschemas. Bürgerliche Menschen mit halbwegs liberalen Vorstellungen sind weitgehend unter sich. Deshalb braucht Ikea den Elch nicht mehr, der nur in Deutschland als Hilfs-Signet diente, von 1974 bis 1983. Ikea war es gelungen, ein Stigma – zu billig, schwierige Montage – zu überführen in die Teilhabe an einem Milieu. Dieses Milieu negiert den Protz. Der Ikeaner ist protestantisch, jenseits des amtlichen Bekenntnisses.

Die einzig vergleichbare Geschichte – wenn auch begrenzt auf Deutschland – ist die des Zweitausendeins-Versands. Bei Zweitausendeins war Pornografie Aufklärung, Pop verfügbar, die Tierwelt in Gefahr: Auch diese abwegige Produktionskonstellation wurde eingebunden in einen Rahmen von Überzeugung und Transparenz, die Niedrigpreispolitik war nicht frecher Wettbewerb, sondern argumentativ kultivierter Ehrgeiz. Die Kulturgeschichte solcher Organisationen zu beschreiben ist gewiss ein berechtigtes Anliegen von Museen. Sie setzt allerdings Forschung voraus. Im Fall Ikea wird sie möglicherweise nachgeliefert. Angestoßen durch den Erfolg der Ausstellung, plant das Vitra Design Museum einen Katalog zu dem Phänomen, das man vorerst als demokratisches Design erkannt hat.

„Democratic Design: 25 Jahre Ikea in Deutschland“. Museum für Angewandte Kunst, Frankfurt am Main. Bis zum 24. April 2000

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