: Ein Fest für Taxifahrer
■ Mit der Münchner KünstlerInnen-Gruppe „Der Blaue Reiter“ möchte und muss die Kunsthalle in den nächsten Wochen BesucherInnenrekorde brechen
„Die Taxisfahrer lieben uns.“ Mit diesem lyrikpreiswürdigen Satz erklärt Kunsthallen-Chef Wulf Herzogenrath, warum zwei Taxiunternehmen für die Ausstellung „Der blaue Reiter“ umsonst (!) Werbung machen. Grund der unorthodoxen Liebesbeziehung: etwa zwei Drittel der erwarteten Besucher werden wohl von Außerhalb kommen und den Taxi-Umsatz steigern. Neun große und 220 kleine Blaue Reiter an Autobahnausfahrten und sogar – hihi – am Bismarckdenkmal weisen den Fremdlingen den Weg.
Wie bescheiden nahm sich gegenüber heutigen Werbeexzessen einstiges Marketing aus: Im Winter 1911 eröffneten Wassily Kandinsky und Franz Marc in der Münchner Galerie Thannhauser eine Ausstellung mit 43 Gemälden – auch von KollegInnen Macke, Münter, Rousseau, Delauney – und sorgten dafür, dass die Bilder europaweit auf Tournee gingen. Eine der 12 Stationen: Die mit ihrem neuen Möbeldesign stilbildenden „Vereinigten Werkstätten“ am Bremer Wall 138. Der damalige Kunsthallen-Chef Gustav Pauli distanzierte sich von den „widerwärtigen Pinseleien“dieser KünstlerInnengruppe namens „Der blaue Reiter“; aber wohl nicht aus mangelndem Weitblick, sondern weil er wegen seines Einsatzes für die französischen Impressionisten schon hart genug abgewatscht wurde und neuem Ärger vermeiden wollte. Was einst skandalierte, soll heute als warming up zu Herzogenraths großem EXPO-Projekt (Theater-Schlurfer Robert Wilson „inszeniert“ ab Juni 2000 20 Meisterwerke der Kunsthalle mittels Licht und Requisiten) jenes typische Gebräu aus Kunstkennern und Tierfreunden anlocken. 3 Millionen Mark für Herzogenraths bislang teuerste Ausstellung – für Versicherung oder klimatisierte, doppelgeschalte, gefederte Transportkoffer für das „Geistige in der Kunst“ (der Titel von Kandinskys Schlüsselessay von 1910) – wollen eingespielt werden.
Bei den Brückemalern „läßt sich manchmal ein Kirchner nicht von einem Pechstein auseinanderhalten“, meint die Kuratorin der Ausstellung, Christine Hopfengart. Der Blaue Reiter hingegen ist ein kurzzeitiges Ideen- und durchaus auch Zweckbündnis von Einzelkämpfern. Und keineswegs alle verstanden wie Kandinsky das vielbeschworene „Geistige, Echte, Reine“ als konsequenten Weg in die Abstraktion. Vielleicht ähnlich wie Goethe in Primel, Busch und Farn nach der Urpflanze fahndete, suchte der Rudolf-Steiner-Fan Marc in Reh, Affe, Kuh nach „dem Inneren“. Der Erste Weltkrieg sprengte auch diese Gemeinschaft. Marc und Macke wurden im Frankreichfeldzug hinweggerafft. Der Russe Kandinsky musste nach Russland und später in die Schweiz emigrieren. Und seine Liebesbeziehung zu seiner einstigen Schülerin Gabriele Münter endete in einem siebenjährigen Rechtsstreit. Einsam in ihrem Haus bei Murnau am Fuß der Alpen wollte sie dem Mann, der längst mit einer Jüngeren verheiratet war, seine Bilder nicht rausrücken. Dafür vermachte sie als Greisin all ihre Kandinsky-Schätze dem Lenbachhaus. Dieses Münchner Museum revitalisierte Mitte der 80er Jahre die unmodern gewordene Sache mit den bunten Museumswänden. So hängen sie dort vor krachend roten, grünen, gelben, blauen Wänden: Kandinskys pointillistoid flirrende Märchenmotive aus frühen Jahren, Jawlenskys ungesund getönte Gesichter, Marcs liebliches Getiere, das – oft schlafend – in einer freundlich gesonnenen Landschaft kuschelt, als gäbe es kein Fressen-und-Gefressenwerden, und Kandinskys quirlige Abstraktionen, vor denen Museumsführer für Schulklassen gerne die verschiedenen Formelemente einzelnen Schülern zuweist, auf das ein vogelwildes Rollenspiel beginnt. Wegen der Münchner Farbwände entschied sich die Kunsthalle – aus purem Spaß an einer Kontextverschiebung – für weißes Gemäuer. Nur die Zwischenmauern quietschen feuerrot. Schließlich wurden die Blaue-Reiter-Farben früher als knallig empfunden.
Anders als noch vor 20 Jahren ist es heute eine vertrackte Aufgabe, andere Museen zum Verleihen ihrer Publikumslieblinge zu bewegen. Eine Aufwartung des Chefs höchstpersönlich und ein spannendes Konzept tun Not. Dieses Konzept hatte man in Bremen. Man nahm sich ein Buch und behängte damit einen ganzen Raum, genauer: Die kunterbunt gemischten Dinge, die im legendären Blaue-Reiter-„Almanach“ von 1912 abgebildet sind, stöberte man in mühseliger Kleinarbeit auf (im Münchner Völkerkundemuseum, aber auch in Privatsammlungen) und verteilte sie möglichst kontrastreich und dialogwillig neben- und übereinander, ein bisschen mit Rumpelkammercharme. So treffen sich eine Radierung von Hans Baldung Grien mit stockbeinigen kämpfenden Pferden, eine Verkündigung El Grecos, eine in Blau getauchte gotische Kirche Delaunays mit Votivtafeln einer Murnauer Kirche und afrikanischen Masken. Die Blauen Reiter, die Rousseau und den Maler! Arnold Schönberg liebten, weil sie durch keine akademische Ausbildung „verfälscht“ waren, sägten an der Differenz zwischen high and low. Außerdem war ihnen jede Epoche gleich nah zu Gott, was der Komponist Bernd Alois Zimmermann viel später unter dem herrlichen Begriff von der „Kugelgestalt der Zeit“ wiederentdeckte. Noch ein Herzogenrath zehrt von solchen Entdeckungen, wenn er eine Etage höher eine Cindy Sherman-Fotografie mitten unter niederländische Meister einschmuggelt.
Angesichts dessen wirkt die Hängung der restlichen Ausstellung fast unangemessen und bieder. Schön säuberlich ist alles chronologisch und nach Namen geordnet. Und es ist die Frage, ob man wirklich zum 100. Mal am Fall Kandinskys zeigen muss, wie das ging: von der Gegenständlichkeit zur Abstraktion. Zumal Kandinsky selbst bedeutete – „nicht zuletzt um gruppeninterne Konflikte zu vermeiden –, dass es „keine Bedeutung hat, ob eine reale oder abstrakte Form“ vorliegt. bk
Bis 12. Juni, Eintritt 12 Mark, Katalog 48 Mark
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