nebensachen aus moskau
: Über das maßlose Entzücken des Volkes angesichts der Herabkunft des Messias

UND DIE ERD’ IN STAUNEN VERSETZEN MIT SEINER RITTERLICHEN KRAFT

Vom Himmel hoch ein Engel ist gekommen / geharnischt wohl mit Schwert und Schild / nun hütet euch ihr Korrupten / auf dass wir euch das Fürchten lehren / mit Gottes Hilfe ihm sei Dank /ein Abgott uns erschienen ist / der alles Unglück von uns wandt ... jubiliert Leser Boris Dschurawlew. Die Huldigung gilt dem neuen Messias, Staatsoberhaupt Wladimir Putin. Das Entzücken des Volkes ist maßlos, weshalb die Komsomolskaja Prawda beschlossen hat, die Begeisterung fortan mit einer wöchentlichen Rubrik fortzuschreiben: „Gedichte über Putin“. Die Empfindungen der erlösten Volksdichter sind so rein wie nur die unschuldige Seele eines einfachen Menschen sein kann. Welche Freude, dass nun auch Erzengel Wladimir die Insignien des Fleisch fressenden Geheimdienstes NKWD, des „Schwerts und Schildes der Partei“, sein Eigen nennt und die verlorene Dreifaltigkeit von Gott, Geheimdienst und Gemeinen mit neuer Wahrheit erfüllt.

Den Versen Igor Mailusenkos entströmt mehr als schnödes Bekennertum. Er ahnt, bald werde der ganze Kosmos hineingerissen in das Wunder der russischen Auferstehung. Um teilzuhaben, schließe man die Augen, versetze sich zur Osterbotschaft in eine orthodoxe Kirche und lasse sich vom hymnischen Kanon verschmelzen mit Russland, Putin und ...Vox viva populi, die lebendige Stimme des Volkes: Ich wünsche, dass Putin in meinem Lande lenke und kein andrer / da nur ein weiser starker Mann / kann sein den Menschen zu Gefallen / ... Gott selbst hat ihn uns gesandt / ... möge Russland sich erheben / und die Erd’ in Staunen versetzen / mit seiner rittergleichen Kraft / und dem stolzen Flügelschlag! / Nur Putin kann das schaffen / ... da die Menschen ihm vertrauen / er steht für Frieden und kann auf Liebe bauen!

Der neue Kremlherr muss Hoffnungen auf Staatsgunst ebenso befriedigen wie das Verlangen nach Staatskunst. Eine gewaltige Herausforderung. Selbst Intelligenz und Kulturschickeria sehnen sich, „ein bisschen Glauben an die Staatsmacht zurückzugewinnen“. Sind auch sie von der Massenpsychose befallen, nichts sehen und doch glauben zu wollen?

Unterdessen übt sich das Fußvolk in Selbstunterwerfung. Lera aus Brjansk versichert IHM unerschütterliche Wachsamkeit: übel welch Feinde Ihnen wünschen / entkommt nicht unserer Millionen Augen / die auf ewiglich wollen Euch vertrauen.

Sehnsucht, im Ganzen aufzugehen. Die Anrufung des SUBJEKTES. Das Paradies auf Erden, das orthodoxe Kirche und russischer Kommunismus versprachen, ließ dem Einzelnen keine Wahl. Entweder entschied er sich für Gottzar und Generalsekretär, oder es drohten Anarchie, Chaos und Apokalypse. Dazwischen ein Nichts. Nicht ganz. Verse schmieden versöhnte mit der Unfertigkeit, Prosa zu leben.

Fürchtet die Komsomolskaja Schlimmeres? Das Militärkrankenhaus, Abteilung Detoxikologie; Entgiftung und Suchtbekämpfung, wirbt zwischen den Bekenntnissen mit rascher Hilfe und dem Wundermittel Nu-ba-in, nicht Put-in.

KLAUS-HELGE DONATH