: EU-Grundrechte umstritten
CONTRA: Ein europäisches „Recht auf Arbeit“ verspricht viel und soll es gar nicht haltenvon CHRISTIAN RATH
Es klingt ja ganz verlockend. Ein individuelles „Grundrecht auf Arbeit“ zwingt der Politik neue Prioritäten auf und gibt Millionen Arbeitslosen in Deutschland und Europa neue Hoffnung. Doch nicht alles, was verheißungsvoll klingt, ist auch wirklich nützlich.
Ein Blick in die Verfassungen der deutschen Bundesländer zeigt, dass es hier und da durchaus schon soziale Grundrechte gibt. So ist das „Recht auf Arbeit“ etwa in Bayern, Berlin und Rheinland-Pfalz in der Landesverfassung verankert. Hat sich das in der Praxis ausgewirkt? Nein, in Bayern ist die Arbeitslosigkeit relativ niedrig, in Berlin ist sie hoch, und in Rheinland-Pfalz liegt sie irgendwo dazwischen. Diese Folgenlosigkeit mag daran liegen, dass das Recht auf Arbeit – anders als ein „echtes“ Grundrecht – nicht individuell einklagbar ist und von Gerichten lediglich als allgemeiner Programmsatz akzeptiert wird.
Doch wäre mit einer einklagbaren Pflicht des Staates, neue Arbeitsplätze zu fördern, auch nicht viel gewonnen. Denn die Frage, was der Staat konkret tun soll, ist damit noch nicht beantwortet. Soll er Beschäftigungsprogramme auflegen, Löhne subventionieren oder das Arbeitsrecht deregulieren? Welche Wirtschaftspolitik langfristig am besten Beschäftigung schafft, kann weder eine Verfassung noch ein Verfassungsgericht sinnvoll beantworten. Die Entscheidung muss der Politik überlassen bleiben, was letztlich auch demokratischer ist.
Auf europäischer Ebene kommt noch hinzu, dass die Möglichkeiten der EU zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ohnehin recht dünn gesät sind. Für wirkungsvolle Beschäftigungsprogramme fehlen ihr schlicht die Mittel. Im Bereich des Arbeitsschutzes ist die EU dagegen durchaus schon aktiv geworden, etwa indem der Schutz der Arbeitnehmer beim Verkauf eines Betriebs stark verbessert wurde. Ein spezieller Verfassungsauftrag war hierfür nicht erforderlich.
Nicht einmal als politisches Symbol dürfte ein europäisches Recht auf Arbeit viel verändern, schließlich ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schon seit langem das erklärte Hauptziel aller Regierungen in Deutschland und in Europa. Dass die EU das politische Ziel verfolgt, ein „hohes Beschäftigungsniveau“ zu sichern, ist im Übrigen schon im EU-Vertrag verankert.
Umgekehrt wird sogar Enttäuschung programmiert, wenn vollmundig ein einklagbares Recht auf Arbeit postuliert wird und doch nur ein banaler Anspruch auf Arbeitsvermittlung gemeint ist. Hier wird viel versprochen und wenig geboten. Transparenz erzielt eine derart pathosgeschwängerte Formulierung nicht gerade.
Dies lässt sich auch nicht damit entschuldigen, dass die EU-Grundrechtecharta Ende des Jahres wohl nur als unverbindliche „Erklärung“ verabschiedet wird. Gerade wenn man hofft, dass diese Charta eines Tages zum verbindlichen Teil der europäischen Verträge oder sogar zum Grundrechtsteil einer europäischen Verfassung wird, sollte das Vorhaben ohne billige Showeffekte angegangen werden.
Eine allgemein gehaltene Sozialstaatsklausel, wie sie für das Grundgesetz gewählt wurde, ist hier deutlich ehrlicher und damit auf der Diskursebene auch nachhaltiger. Außerdem sind die konkreten sozialen Rechte wie Kündigungsschutz, Sozialhilfe oder der Anspruch auf Wohnraum sowieso schon einklagbar. Denn dafür gibt es Gesetze und wird es auch künftig Gesetze geben.
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