Preisakrobatik für die Problemzone

Die Berliner sind zu arm: Höhere Kartenpreise können die Kulturfinanzen nicht sanieren

Die Zuschauer sind schuld. Nicht unfähige Senatoren oder fantasielose Intendanten haben Berlins Kultur in die Finanzkrise geführt, sondern das Publikum. Es lässt sich die Karten für Theater, Oper und Konzert schlicht zu wenig kosten. Die bittere Medizin, die der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) jetzt verordnen will: Die Preise müssen rauf.

Neidvoll blicken Berlins Intendanten auf Städte wie Hamburg oder München. Wenn am Gänsemarkt oder am Max-Joseph-Platz allabendlich die Superreichen vorfahren, haben sie längst vergessen, ob ihre Opernkarte hundert Mark teurer oder billiger war. Anders in Berlin: In keiner anderen Metropole Westeuropas liegt das Durchschnittseinkommen so niedrig, und die wenigen Neureichen kennen die Hochkultur bestenfalls vom Hörensagen.

Das Problem hat der Regierende also erkannt, doch seine Therapie ist – aus den gleichen Gründen – wenig praktikabel. Schon seit zehn Jahren tun die Berliner Bühnen nichts anderes, als ihre einst sehr niedrigen Preise unentwegt zu erhöhen. „Wir holen schon das raus, was zumutbar ist“, sagt Götz Friedrich, Chef der Deutschen Oper. Der Mann spricht aus leidvoller Erfahrung: Als das Haus den Preis für die vorderen Plätze zuletzt auf 142 Mark verteuerte, blieben die Reihen bei vielen Vorstellungen schlicht leer. Kollege Frank Castorf beschritt den umgekehrten Weg. An seiner Volksbühne muss niemand mehr als 30 Mark bezahlen, folglich kann Berlins größtes Schauspielhaus über mangelnden Zulauf nicht klagen.

Da scheint eine Idee nicht länger abwegig, die der lokale Tagesspiegel noch als Aprilscherz handelte: Warum nicht auf die Kartenpreise eine 50-prozentiges Notopfer aufschlagen, von dem die Einheimischen verschont bleiben? Schließlich erprobt die Staatsoper, die Renommierbühne Unter den Linden, schon längst kreative Modelle, um Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Alljährlich zu Ostern ruft das Haus seine „Festwochen“ samt Wagner-Premiere aus, mit Höchstpreisen von annähernd 500 Mark. Nach der Sommerpause dürfen die BerlinerInnen dann die gleichen Opern, meist in identischer Besetzung, zum Normaltarif goutieren.

Derlei Preisakrobatik hat freilich ihre Grenzen. Wird der gemeine Steuerbürger ausgesperrt, verliert die Subventionskultur schnell ihre Legitimation. Obendrein hinken viele der Vergleiche, die Berlins Bühnen in preisgünstigem Licht erscheinen lassen. So taugt das Ausland kaum als Maßstab, weil die Kartenpreise im deutschsprachigen Raum traditionell niedriger sind. Obendrein bewegt sich das Gebotene an den Berliner Opernhäusern allzu oft auf dem Niveau von Stadttheatern. Dort aber liegen die Preise meist weit niedriger. Und nicht wenige Häuser haben die Preisgruppen neu zugeschnitten und die Preise dadurch, ganz heimlich, weiter erhöht. Gab es an der Staatsoper einst noch billige Plätze im Parkett, darf sich das gemeine Volk jetzt auf den Rängen den Hals verrenken.

Mit solchen Tricks indes werden sich die hauptstädtischen Kulturfinanzen kaum sanieren lassen. Jetzt hoffen alle auf den Bund. Geht es nach den Berlinern, muss Staatsminister Michael Naumann (SPD) das teuerste Billet lösen. RALPH BOLLMANN