: Aufgeregte Spurensuche
■ Klaus Theweleit liest heute aus „You Give Me Fever“, einem lustigen Taschenbuch über Kolonialismus und Sexualität
Kennen Sie Disneys „Lustige Taschenbücher“? Blöde Frage, natürlich kennen Sie die. Stellt man die Paperbacks vollständig ins Bücherregal ergibt sich aus den Buchrücken ein Bild. Meist stellt es eine der zentralen Disneyfiguren dar und macht im Idealfall die Sammlung ebenso klar hervorstechend wie, sagen wir: die Bibel. Womit wir doch noch die Kurve hinbekämen und die Einleitung direkt in Richtung des ×uvres von Klaus Theweleit weiterspinnen können. Denn auf dem Buchrücken des neuesten Werkes sind die Buchstaben „TAS“ zu lesen. Das ist die letzte Silbe im Namen der Hauptfigur des aktuellen Projektes des in Freiburg lebenden Autors. PO-CA-HON-TAS, ihres Zeichens indigene Häuptlingstochter, die sich in einen Weißen verliebte und deren Lebensgeschichte, besser: deren Bild (in allen Bedeutungen des Wortes) unlängst von einer großen amerikanischen Filmfirma namens ... genau ... auf die Leinwände gebracht wurde.
Und dann ist da noch Arno Schmidt, der gegen Wiederbewaffnung und Religion anschreibende Ex-Landser, der seinen Protagonisten gerne und recht bedeutungsvoll einen anderen Fetisch der Populärkultur auf den Wirtshaustisch stellt. Eine Flasche Coca Cola. Mitunter hat man den Eindruck, Theweleit – unser aller Liebling im Vermengen von Cultural Studies und Psychoanalyse – versuchte, Schmidt als den ersten Popautor deutscher Zunge zu präsentieren. Und das in einer Zeit, wo es bestimmt keine Popliteratur gab. Trotzdem hat Theweleit Recht. Und da, wo man nicht ganz seiner Meinung ist, sind seine Bücher immer noch ein (auch literarisch) spannendes Experiment.
Theweleit schreibt Schmidts so genannten Kurzroman „Seelandschaft mit Pocahontas“ aus dem Jahr 1953 nach. Ungewohnt chronologisch (und langsam) voranschreitend übernimmt er das Tempo des Zugs, mit dem sich Schmidts Protagonist Joachim seinem Urlaubsziel nähert, dem Dümmer, mitten in der norddeutschen Tiefebene. Das heißt: Er überschreibt ihn, lädt den eh schon unglaublich dichten Text noch einmal zusätzlich auf. Indem er den verborgenen Bezügen nachgeht oder auch indem er seinen Stil (wenigstens zeitweilig) dem unverkennbaren Schmidts anverwandelt: „ ...aber da iss gaa nischt los“. Dass nichts passiert, stimmt. Und es stimmt auch nicht. Theweleit lotet diesen Zwischenraum aus, öffnet ihn in Richtung der Schmidtschen Schreibbewegung, die ja stets um das scheinbare, provinzielle Nichts (oder zumindest fast nichts) kreist. Öffnet ihn aber auch in Richtung des eigenen (und kaum weniger unverkennbar Theweleitschen) Projekts, das da heißt: Der Pocahontaskomplex.
Hier und da macht Theweleit Halt, verweilt an Orten, Denkorten, die Schmidt an-, beziehungsweise den Assoziationen der geneigten Schar der Leserinnen und Leser, zum Verweilen im Wortgestrüpp einladend, zugedacht hat. Zu viele, um alle hier aufzuzählen. Joachim jedenfalls lernt eine junge Frau kennen, verliebt sich und nennt sie Pocahontas. Der Akt des Benennens wiederum ist mehr als schrulliger Bestandteil einer Post-Teenagerliebe. Er verweist auf den Zusammenhang des ganzen Projektes. Das Bennenen, so konnten wir bereits bei Todorov und anderen kritischen Kolonialismustheoretikern lesen, bannt die Angst vor „dem Fremden“. Und ist, wenngleich nur sprachlicher Akt, unverzichtbar für die ideologische Grundierung für Ausbeutung und Mord. So springt Theweleit fröhlich zwischen dem kolonialistischen Fakten und den Bildern, die vor allem die „Entdecker“ sich über Jahrhunderte davon machten, hin und her. Ein lesenswertes Buch. Bleibt allein die Frage, wie der Autor beim Vortrag die Unmengen an Bildmaterial (Comic-Panels, Filmstills, Fotografien etc.) ins Spiel bringt.
Tim Schomacker
Klaus Theweleit liest „Pocahontas IV. ,You Give Me Fever'“ heute, 6. April, um 20 Uhr im KünstlerHaus, Am Deich 68/69
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen