: Extremsport
HipHop mit acht Armen: Das Wunderkind Kid Koala dreht heute im Pfefferberg an den Plattenspielern
Ohne Nerds wäre alles einiges weniger spannend. Ohne Richard D. James aka Aphex Twin hätte man vielleicht nie erfahren, wie hilfreich es sein kann, den ganzen Tag an irgendwelchen Synthesizern herumzulöten, um schrägere Sounds als alle anderen produzieren zu können. Und hätte es sich ein Producer wie Photek nicht in den Kopf gesetzt, mindestens zwei Monate Tag und Nacht an einem einzigen Track herumfeilen zu wollen, hätten Drum-&-Bass-Tracks nie diese umwerfende mathematische Genauigkeit in ihren Strukturen aufweisen können.
HipHop war entgegen allen Vermutungen ebenfalls schon immer ein Tummelplatz für Nerds. Auch wenn hier immer von Spirit die Rede ist und so getan wird, als ob die Skills proportional mit dem Konsum von holländischem Gras wachsen würden, ist das, was ein Rapper und ein DJ doch ständig machen müssen, vor allem eines: üben. Weil: Besser als die anderen zu sein, darauf kommt es schließlich an.
HipHop zum Contest hat dann endgültig der so genannte Turntablism erklärt. Hier kommt es darauf an, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Platten möglichst spektakulär ineinander zu mixen, ohne dass das langweilig anzuschauen wäre. Das heißt: Man sollte schon mal zwischen den Beinen scratchen und eine Platte durchaus mit der rechten Backe anhalten, und die Urszene des Turntablism ist sozusagen Jimi Hendrix’ Gitarrenspiel mit der Zunge.
Einer, der Turntablism nun endgültig zur Funsportart erklärt hat, ist das kanadische Wunder-Kid Koala. Er sieht aus, als würde er gerade die achte Klasse besuchen, ist in Wahrheit aber ein 24-jähriger Grundschullehrer mit einer Plattensammlung, die vernünftige Dimensionen längst hinter sich gelassen hat. Dabei griff er für die Produktion seiner aktuellen Platte „Carpal Tunnel Syndrome“ nicht bloß wahllos einige hundert Mal in seinen Schatz aus 15.000 Vinyls, sondern er hat wie ein Buchhalter die potenziell anzuzapfenden musikalischen Energiequellen erst mal katalogisiert.
Wo er schon mal bei der Arbeit war, machte er sich gleich noch daran, seine Filmsammlung, Werbe-Jingles und Gebrauchsanweisungen zu sortieren. In vierjähriger Puzzelei hat er dann diese Geräuscharchive mit seiner persönlichen Kombinationsformel gekoppelt. Da mal ein Sample aus einem Bruce-Lee-Film, dort mal ein Scratch von einer Kinderplatte und in der nächsten Sekunde schon wieder was ganz anderes. Das Ergebnis ist ein abartiger HipHop-Cut-Up, der jede Vorstellung von Sampling als Erinnerungstechnik zunichte macht. So schnell, wie hier gecuttet wird, kann man gar nicht hören.
Mit dem Sehen soll es auch nicht so einfach sein. Diejenigen, die das Kid bereits bei der Arbeit beobachten durften, stammelten alle etwas von „das Kid hatte acht Arme“. Selbst eingehendste Untersuchungen an den Plattenspielern erbrachten nicht das für Nachwuchs-DJs beruhigende Ergebnis, dass das Kid mit AI-Plattenspielern aus den Geheimlaboren des MIT operieren würde.
ANDREAS HARTMANN
Heute, 21.30 Uhr, mit DJ Food im Pfefferberg, Schönhauser Allee 178
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