: Rockmodell Mitte
Tom Kimmig hat einen Film über Patrick Wagner gedreht – und das Surrogat-Video „Berlin liebt dich“
In Mitte gehören sie zum Straßenbild: Menschen mit Stadtplänen in der Hand, die sich Hilfe suchend umschauen, ob Touristen, Zugezogene oder hier geborene Berliner. Wie lebt es sich in der Stadt, in der alles neu gebaut wird und schön sein soll?
Das wollte Tom Kimmig herausfinden. Der 32-jährige Kamerastudent der DFFB hat – als Seminararbeit – einen Dokumentarfilm gedreht: „Größer als Gott“. Es geht um Patrick Wagner, Sänger von Surrogat und Mitinhaber des Plattenlabels Kitty Yo. Kimmig sieht Wagner als Vertreter des Neuen-Mitte-Personals: viel arbeiten, wenig verdienen, fest an den eigenen Erfolg glauben. Macht nichts, dass Patrick seit Monaten keine Miete für seine Wohnung bezahlt und ihm ständig der Rausschmiss droht: Hauptsache, die Arbeit wird „mit Leidenschaft gemacht.“ Alles andere ist unwichtig. Der Beruf ist Privatleben – und umgekehrt.
Tom Kimmigs fünfzigminütige Doku konzentriert sich auf Patrick – und auf dessen Mitarbeiter und Freunde, die dann wiederum über Patrick reden. Die Leute erzählen beindruckt von Patricks unermüdlichen Arbeitseifer, mit dem er seine Sachen angeht, und seiner Energie: „Woher nimmt er die?“ Vielleicht aus dem Gefühl, dass in der Großstadt alle Möglichkeiten offen stehen ...
Patrick Wagner betreibt Grundlagenforschung, von der andere profitieren: „Sicher gibt es hier Freiräume für viele. Aber nur die Reichen können sich in die renovierten, teuren Mitte-Lofts einkaufen“, sagt Tom Kimmig: „Diese Entwicklung haben Subkulturen wie Kitty Yo durch ihre illegalen Partys und ihr früheres Geklüngel vorbereitet. Nur dass das Label heute immer noch underground ist und auch seine Künstler nicht erfolgreich medienwirksam rausbringt.“
Sind Surrogat beim Rennen um Berlin auf der Strecke geblieben? Im Videoclip zu ihrem Song „Berlin liebt dich“ jagen die drei von der Band als Undercover-Cops durch die Stadt, finden Blutspuren auf der Straße und Leichen auf dem Klo. Das Video hat ebenfall Tom Kimmig gedreht, sein zweiter Versuch über das Thema Berlin-Identität. „Berlin liebt dich“ will gerade kein Rock für die Neue Mitte sein. Patrick singt: „Es gibt Möglichkeiten statt Geld“.
Ähnlich wie in „Sabotage“ von den Beastie Boys wird in dem Surrogat-Clip kein Klischee ausgelassen: Harte Männer und Frauen tragen bei der Arbeit Cowboyboots und rennen durch Straßen der großen Stadt. Sie sind immer in Bewegung, entweder draußen im Großstadtdschungel oder drinnen beim Training im Fitnessstudio. Tom Kimmig und sein Cutter Piet Schmelz hatten die Idee, das Video wie einen Trailer für „Derrick“ oder „Der Fahnder“ zu gestalten: Als Gegenpol zur schicken Mitte wird die Stadt von ihrer kriminellen Seite gezeigt.
Davon ist mehr zu sehen, als den beiden eigentlich lieb war: Beim Dreh in Kreuzberg filmten sie echte Blutspuren auf der Straße, noch feucht von der letzten Messerstecherei. Berlin ist hart. Aber nicht zu hart: Der Musikkanal Viva 2 hat das Surrogatvideo für die Tagesrotation angenommen und am Dienstag in der Sendung Wah Wah vorgestellt.
VERENA DAUERER
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