: Studis sollen Stunden zählen
Studienkonten statt Studiengebühren: ein genialer Kompromiss? Oder der Anfang vom Ende? Entscheidung bis Herbst erwartet ■ Kaija Kutter
„Drohende Studiengebühren“ ist eine Parole, mit der seit Jahren die Erstsemester begrüßt werden. Es gilt dagegen anzukämpfen. Doch stets verhallt der engagierte Protest im Hamburger Rathaus. Dort versicherte zuletzt im Januar die Wissenschafts-Staatsrätin Marlies Dürkop – als sie 7000 Unterschriften entgegennahm –, Gebühren für das Erststudium werde es in Hamburg nicht geben.
Andere Bundesländer, auch andere SPD-Politiker, sehen das anders. Der Druck, sich zu einigen, wächst, hört man aus der Hamburger Wissenschaftsbehörde. Andernfalls drohten die Bildungsminister von Niedersachsen (Thomas Oppermann, SPD) und Baden-Württemberg (Klaus von Throta, CDU), die Gebühren im Alleingang einzuführen.
Ein Kompromissvorschlag des rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministers Jürgen Zöllner (SPD) hat nun Bewegung in die Debatte gebracht. Die Idee ist einfach: jeder Hochschüler bekommt ein Konto von 200 Semesterwochenstunden, die er kostenfrei studieren kann. Bleibt am Ende etwas übrig, kann er diese Stunden später für seine Weiterbildung nutzen.
Unter Semesterwochenstunden (SWS) versteht man die Zahl der während eines Semesters wöchentlich belegten Vorlesungen und Seminare. Gewöhnlich dauert ein Studium nicht länger als 150 bis 160 SWS. Für Studiengänge wie Architektur, die 240 SWS oder mehr benötigen, wird es Sonderregelungen geben.
Hamburgs Wissenschaftssenatorin Krista Sager (GAL) findet das Modell gut. Sie gehe davon aus, dass es zur Verringerung des Studienalters beitragen werde, da es einen „Anreiz“ gebe, das Studium „zielstrebig zu organisieren“, sagte sie Mitte März vor Journalisten. Der Charme des Modells liegt darin, dass individuelle Lebenslagen problemlos ins Studium integriert werden können. Egal ob Babypause, Auslandsaufenthalt oder Krankheit, die Zahl der SWS wird davon nicht berührt.
Der Teufel liegt aber wie so oft im Detail. Während der SPD-Politiker Zöllner die überschüssigen Stunden, auch „Bonuspunkte“ genannt, nur jenen zur Weiterbildung lassen will, die innerhalb der Regelstudienzeit fertig werden, benötigt das Modell nach Sagers Ansicht keinen solchen „Zeitfaktor“. Dies würde, so die Grüne, nur wiederum die „Integration individueller Problemlagen“ wie Jobben oder Kinderkriegen erschweren.
Die Kultusministerkonferrenz (KMK) hat im Februar eine „interministerielle Arbeitsgruppe“ eingerichtet, die bis zum Mai die Details einer Vereinbarung ausarbeiten soll. KMK-Präsident Willy Lembke will die Sache „nicht mehr auf die lange Bank schieben“ und strebt eine Lösung bis Herbst an. Die Einigung auf das Konto-Modell scheint realistisch, da auch die Hardliner Oppermann und von Trotha Zustimmung signalisierten.
Die Frage, ob SWS-Konten Fluch oder Segen sind, wird gewiss auch in Hamburg für Diskussion sorgen. Sind die Studienkonten erst einmal eingeführt, werden sie zu einer starken Kontrollierbarkeit führen. Es wird exakt offenkundig, wer welche Stunden bei wem belegt. Die abgefragten SWS seien „leicht zu quantifizieren“ und könnten ein „Indikator bei der Mittelvergabe“ für die Hochschulen sein, meint denn auch Krista Sager. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die KMK zugleich ein neues Gehaltsmodell für Professoren diskutiert, das von einem einheitlichen Grundgehalt ausgeht und „leistungsbezogene“ Zulagen für Lehre und Forschung vorsieht.
Bei allem Spielraum, den 200 SWS bieten mögen, ist es doch der Einstieg in eine Begrenzung der Studienfreiheit. Bisher werden Hamburgs Studierende, wenn sie die Regelzeit überschreiten, lediglich mit einer Zwangsberatung behelligt. Noch sind interdisziplinäre Seitensprünge unbegrenzt möglich, und auch der späte Fachwechsel und das Zweitstudium sind noch umsonst.
Laut Sager sollen die 200 Bonuspunkte lediglich eine verbindliche Untergrenze sein, Hamburg könne auch 300 oder 400 Punkte einräumen. Nur, wer garantiert, dass Finanzsenatoren, wenn denn knapper werdende Staatskassen dies nötig erscheinen lassen, nicht die Bonuskonten plündern? Ist da eine „Rahmenvereinbarung“ der Kultusmi-nister verbindlich genug?
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