: Stumm gegen Klassenjustiz
Zwei seltene Griffith-Filme im Metropolis zeigen ein ganz anderes Bild des rassistischen Montage-Pioniers ■ Von Dietrich Kuhlbrodt
Mit Birth Of A Nation (1915) hatte David Wark Griffith Filmgeschichte gemacht. Endlich hatte einer das junge Medium aus den Fesseln der Theaterinszenierung befreit und ihm eine originäre, stumme Bild-Sprache gegeben. Leugnen ließ sich freilich nicht, dass die Verherrlichung des Klu-Klux-Klan und die Diffamierung der Schwarzen rassistisch war. Griffith musste sich schon im Erscheinungsjahr krasse Attacken nicht nur von damaligen Bürgerrechtsorganisationen gefallen lassen. Doch er fühlte sich von seinen Kritikern intolerant behandelt. Schon im nächsten Jahr, 1916, hatte er sein nächstes monumentales Großwerk fertiggestellt, einen Vier-Episoden-Film. Titel: Intolerance.
Die Episode The Mother and the Law ist jetzt – zusammen mit Isn't Life Wonderful? von 1924 – im Metropolis zu sehen. Das sind seltene Gelegenheiten, die man unbedingt wahrnehmen sollte. Denn nicht zufällig wurde Isn't Life Wonderful? zur Zeit der 68er-Bewegung vom damals „roten“ Hessen 3 ausgestrahlt. Beide Filme zeigen den wahren, vom Sensationserfolg des Birth of a Nation verdeckten Griffith. Sie sind gleichfalls Kunstwerke der neuen Filmsprache, und sie nehmen – und das ist das politisch Sensationelle – dezidiert die Perspektive des Proletariats ein, melodramatisiert und den Zuschauer fest im Blick. The Mother and the Law attackiert die zeitgenössische Klassenjustiz; ein Film, der wütend macht. Isn't Life wonderful? widmet sich den sozial Deklassierten des Nachkriegs-Berlin. Im proletarischen Milieu kannte sich Griffith aus. Er war Metallarbeiter, Landstreicher, auch Feuerwehrmann und Journalist gewesen, bevor sein Filmtalent entdeckt wurde.
In beiden Filmen sind es Frauen, die die Handlung vorantreiben. Griffith hatte früh die Persönlichkeit der Frau für den Film entdeckt; er begann damit, die Rolle der Schauspielerin zu erarbeiten. Das war in der damaligen Quickproduktion unbekannt. Griffiths Schauspielerinnen wurden die ersten Stars: Mae Marsh im ersten Film, Carol Dempster im zweiten. Dempster hat ein Gesicht, wie man es sich heute auf der Leinwand wünscht: Charakter statt Look.
Worum gehts in The Mother and the Law? Mr. Jenkins, der Großindustrielle, stiftet zwecks erhöhter Akzeptanz für sein kränkelndes Unternehmen ein Wohltätigkeitsinstitut. Was aber tun, wenn die Waisen-Betten leer stehen? Die Upper-Class-Damen holen sich Babies aus den Slums. Die Wonneproppen sind wohl genährt, auch haben sie eine liebevolle Mutter. Also muss man die Kleinen vom Mutterbusen reißen. Dazu bedienen sich die Arbeitgebergattinnen der Justiz. Blicke des Einverständnisses gehen zu korrupten Richtern. Dann wandert der schutzbereite Proletarier in den Knast, die (falschen) Beweismittel sind untergeschoben – und der verzweifelten, nun allein stehenden Mutter wird flugs das Sorgerecht entzogen. Die herrschende Klasse geht über Leichen.
Wir werden in diesem Intolerance-Film zunächst durch eine Flut von Schrifttafeln instruiert. Die ersten Bilder haben eher die Funktion der Illustration, auch fällt die Kamera in die Bühnen-Einstellung zurück (die Totale eines Bühnenbildes). Dann aber gewinnt der Film Fahrt. Die Empörung steigt, und damit beschleunigt sich der von Griffith soeben erfundene variable Film-Rhythmus. Die Kamera rückt näher heran; sie notiert die fahrigen Gesten, mit der die verzweifelte Mutter die Haare nestelt; die Großaufnahme verweilt schmerzlich/zärtlich auf dem Kopf des schlummernden Proletarierkinds; schließlich bringt eine rasant geschnittene Parallelhandlung eine auch heute noch stark wirkende Aktion zwischen dahinstürmender Dampfeisenbahn und schier wahnsinnig beschleunigendem Rennautomobil zusammen. Griffiths Parallelmontage war 1916 eine absolute Neuheit fürs Publikum, kaum auszuhalten. Und sie ist heute trotz nostalgischer Anmutung alles andere als komisch, denn es geht um Leben und Tod, um Frustration oder Happy End.
The Mother and the Law: Do, 13.4., 17 Uhr Isn't Life Wonderful: Mi, 19.4. + 21.15 Uhr + Do, 20.4., 17 Uhr, Metropolis
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