Trash as trash can

Gepiercte Gurus, Schienbeinlöcher und eine Landebahn für Jesus: Mit seinem Sekten-Öko-Subkulturfilm „Jesus ist ein Palästinenser“ gibt Lodewijk Crijns den definitiven Kommentar zur neuen alten Spiritualität

Wenn Trash nicht einfach nur meint, längst obsolete Tabus mit vielen Körpersäften zu brechen, sondern offensiv mit den Dingen der Gegenwart umzugehen, wie das in den besten Songs der „Goldenen Zitronen“ etwa geschieht; wenn man unter Trash gerade nicht die Pose versteht, mit der man sich davor drückt, über irgendetwas nachzudenken, oder eine Überzeichnung, die so stark ist, dass nichts Gegenwärtiges mehr übrig bleibt, sondern das Arrangement stranger Gegenwartsmomente, die es ja zuhauf gibt, ist „Jesus ist ein Palästinenser“ Trash. Man könnte es auch anders nennen. Der 1999 entstandene Sekten-, Subkultur-, Kommunefilm des jungen holländischen Regisseurs Lodewijk Crijns lebt also nicht so sehr von der Überzeichnung, die es auch geben mag, sondern davon, dass er das vorhandene Wirklichkeitsmaterial klug gesichtet und neu kombiniert hat.

Wunderbar – und der Wirklichkeit durchaus nahe – sind vor allem die Szenen, in denen die Helden eines sehr strangen Arrangements – als Mitglieder einer seltsamen Sekte etwa – völlig normal, intelligent und eher ziemlich unsektenhaft miteinander sprechen; wenn das strange Bild also nicht in der Sprache verdoppelt wird oder vor allem auch: wenn Sektenmitglieder kein fundamentales, sondern ein eher instrumentelles Verhältnis zu ihren seltsamen Ritualen und zu ihrem Guru haben. Im Verzicht auf die übliche Verdopplung, auf diese tagtäglichen abstoßenden Überkonnotierungen von allem und jedem, was aus der Norm fällt, liegt die Wahrhaftigkeit des Films, der auch noch superkomisch ist.

Der Held, Ramses, 25, lebt seit einigen Jahren in einer religiösen Ökokommune, deren männliche Mitglieder sich vor allem durch extremes Piercing auszeichnen. Ansonsten geben sich die Mönche eher locker-humorvoll und angenehm durcheinander. Als ihr noch ausgeprägter gepiercter „Khan Guru“, den nicht nur Ramses zuweilen „Skippy“ nennt, in seinem Dienstwagen – einer hippieesken Ente – vorbeikommt, ist es vorbei mit dem Schabernack. Khan Guru, der vor lauter Piercings kaum noch sprechen kann, begutachtet seine Eleven und ist sehr aufgebracht über ein paar Brustpiercings. „Keine Ringe in den Nippeln“ lautet nämlich eine der Regeln der Sekte, denn die behindern die Loslösung.

Weil die Sterne zweckdienlich angeordnet sind, soll Ramses initiiert werden. Vorbereitend wird er gefragt, ob seine „Loslösung“ gut vorangehe und ob er schon mal auf „verbotenem Terrain“ gewesen ist, das heißt mit einer Frau geschlafen hat. Mitnichten – um das auch weiterhin zu verhindern, bekommt er ein neues, interessantes Piercing. Am nächsten Tag soll er dann endgültig geweiht werden. Er hat ein bisschen Angst, denn zur Initiation muss dem Initianten ein Loch ins Schienbein gebohrt werden. Danach kann man einen Schlauch in das Loch tun und Rauch reinblasen, was zum ultimativen Kick führt, wie die Initiierten berichten.

Doch die Vorbereitungen werden unterbrochen. Ramses’ Schwester Natascha kommt vorbei, um ihren Bruder zu holen, denn der Vater liegt im Sterben. Wie Udo Kier als Brüderchen in Lars von Triers „Hospital“, wartet der Vater mit dem Kopf nach unten in einer gruseligen Maschine im Krankenhaus darauf, dass seine medizinische Notversorgung abgestellt wird. Auch er sehnt sich nach Erlösung, nach einem Messias, der ihm vor seinem Ende die Absolution erteilt.

Während Natascha ihren Bruder dazu bringen will, in das Abschalten der Maschinen einzuwilligen, möchte Ramses seinen Vater zu einem smarten palästinensischen Guru bringen, der als Wiedergeburt Christi in einem Hochhauskomplex in Bijlmer seine Anhänger um sich geschart und – wie Rael, der durchgeknallte Führer einer UFO-Sekte aus dem echten Leben – eine Landebahn für Jesus hat bauen lassen.

Ramses verliebt sich in die Freundin seiner Schwester und möchte sich von seiner Sekte lösen. Guru-Khan fährt mit seinen Anhängern nach Amsterdam, um den Abtrünnnigen zurückzuholen. Es kommt zu wunderbaren Turbulenzen.

Das Ende des Films ist ziemlich furios und spielt auf die Flugzeugkatastrophe an, bei der im Oktober 1992 eine israelische Boeing in ein Hochhaus im Amsterdamer Vorort Bijlmer gerast war und höchstwahrscheinlich hunderte getötet wurden. Wegen der vielen dort lebenden illegalen Einwanderer konnte die Zahl der Toten nicht geklärt werden. Von den meisten Opfern blieb infolge der extrem hohen Temperaturen des Feuers keine Spur. Jahre später klagten überlebende Bewohner über mysteriöse Lungenkrankheiten, Fehlgeburten verkrüppelter Föten, Massensterben von Hunden und Katzen, was alles darauf zurückgeführt wurde, dass die Maschine als Stabilisator 600 kg „kaltes“ Uran in ihren Flügeln hatte.

DETLEF KUHLBRODT

„Jesus ist ein Palästinenser“. Regie: Lodewijk Crijns. Mit Hans Teeuwen, Kim van Kooten u. a. Niederlande 1999, 89 Min.

Hinweis:Um den ersten Beischlaf mit einer Frau auch weiterhin zu verhindern, bekommt Ramses noch ein neues, sehr interessantes Piercing