: Strategie der Abschreckung
Mit einer Verschärfung der Asylgesetze will London die Zahl potenzieller Antragsteller drosseln. So soll es statt Geld nur noch Gutscheine geben. Aus der Regelung nach deutschem Vorbild hofft Labour politisches Kapital schlagen zu können
von RALF SOTSCHEK
Für die britische Regierung ist Deutschland ein Vorbild, jedenfalls was die Asylpolitik angeht. Vorige Woche ist in Britannien ein Gesetz in Kraft getreten, das auf Streuung und Gutscheine setzt, um möglichst viele Asylbewerber abzuschrecken: Alle Regionen müssen Menschen aufnehmen, statt Sozialhilfe erhalten die Antragsteller Gutscheine im Wert von 35 Pfund in der Woche. Wechselgeld auf die Gutscheine gibt es nicht, bei der Wohnortwahl haben die Asylbewerber kein Mitspracherecht. In Deutschland habe das funktioniert, sagte Innenminister Jack Straw. Dort sei die Zahl der Anträge von 450.000 im Jahr auf 90.000 gesunken.
Das neue Gesetz sieht auch verschärfte Kontrollen und hohe Geldstrafen für Lkw-Fahrer vor, die versuchen, Leute ins Land zu schmuggeln. Man will künftig enger mit Fluggesellschaften im Ausland zusammenarbeiten, um zu verhindern, dass Passagiere mit gefälschten Papieren einreisen. Auch wollen die Behörden stärker gegen Scheinehen vorgehen. Ab April 2001 soll über die Anträge innerhalb von sechs Monaten entschieden werden.
Das erscheint optimistisch. Zur Zeit müssen sich Antragsteller weit über ein Jahr gedulden, auf der Warteliste stehen 103.000 Namen. Grund dafür ist ein neues Computersystem, das die damalige Tory-Staatssekretärin für Einwanderung, Ann Widdecombe, 1996 eingeführt hat. Statt die Bearbeitung zu beschleunigen, führte es zum Chaos, weil das System ständig abstürzte. Vor den Wahlen im Mai 1997 warnte Labour, dass das Asylverfahren jeden Augenblick zusammenbrechen könnte. Labour-Politiker warfen den Tories vor, die Verschärfung des Asylrechts sei „ein Versuch, die Ängste vor Einwanderung politisch auszunutzen“.
Was damals stimmte, gilt heute für die Labour-Regierung. Ihre Umfragen haben ergeben, dass die Asyldebatte nach dem maroden Zustand des Gesundheits- und Bildungswesens das Thema ist, das der Partei bei den nächsten Wahlen am meisten schaden könnte. Von der „antirassistischen Asylpolitik“, die Labour beim Amtsantritt versprochen hatte, ist keine Rede mehr.
„Zwar reden nur noch unverbesserliche Rassisten öffentlich über den Gestank der Curry-Mahlzeiten ihrer Nachbarn“, meint der Guardian, „aber die Leute reden nur zu gerne über bettelnde Asylschwindler, die unsere Großzügigkeit missbrauchen, um sich Paläste am Rand der rumänischen Haupstadt Bukarest zu bauen.“ Die Tories versuchen, diese Stimmung auszunutzen, um bei den Kommunalwahlen im Mai ein Comeback zu feiern. Sie fordern die Inhaftierung und zügige Abschiebung aller Asylbewerber. Tory-Stratege Andrew Lansley sagte: „Asyl ist ein Thema, das besonders gut in der Boulevardpresse funktioniert, und das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft.“
Bei Labour hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Wechselwähler der Mittelschicht so gut wie jeden Asylbewerber als Schwindler betrachten. Die Zahlen widerlegen das: Im vorigen Jahr sind 54 Prozent aller Anträge positiv beschieden worden. Und Großbritannien steht bei weitem nicht an der Spitze, was die Zahl der Anträge betrifft, sie ist in zehn europäischen Ländern höher, wenn man es auf die Bevölkerungszahl umrechnet.
Jack Straw verteidigt das neue Gesetz: Die Maßnahmen seien erträglich. Diejenigen, die das System missbrauchten, würden abgeschreckt, Flüchtlinge sich damit abfinden, wenn es nicht länger als sechs Monate dauert.
Doch bis die Behörden die Wartelisten bewältigen, dauert es. Im Februar wurden zum ersten Mal mehr Anträge bearbeitet als neue eingingen – 8.000 im Vergleich zu 6.100. Bei diesem Tempo vergehen mehr als viereinhalb Jahre, bis die Warteliste abgearbeitet ist.
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