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Diagnose: Nicht vermittelbar

Der Aufwind auf dem Ausbildungsmarkt geht vor allem auf staatliche Programme zurück. Doch für viele Jugendliche sind die Fördermaßnahmen nicht mehr als eine letzte Auffangstation. Besondere Problemgruppe: Junge Frauen

aus Berlin NICOLE MASCHLER

Von einem Sprungbrett kann keine Rede sein. 100.000 Jugendliche wollte die Regierung mit dem Sofortprogramm „Jump“ dauerhaft in Beruf und Ausbildung bringen. Doch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) musste in der vergangenen Woche zugeben, dass der Aufwärtstrend auf dem Ausbildungsmarkt vor allem auf staatliche Programme zurückzuführen ist. Besondere Problemgruppe sind wie auf dem regulären Arbeitsmarkt junge Frauen. Sie konnten nur 40 Prozent der Plätze ergattern.

Zeit zur Selbstkritik auf dem „Mädchenkongress“ von Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende in Berlin. „Es ist fraglich, ob wir die Jugendlichen mit dem Sofortprogramm dauerhaft im Arbeitsmarkt etablieren können.“ Christian Simmert, jugendpolitischer Sprecher der Partei, macht aus seiner Skepsis keinen Hehl.

Knapp 10.000 Jugendliche hat das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg im Rahmen des Sofortprogramms untergebracht. Doch Sozialarbeiter Frank Otto vom Internationalen Bund (IB) in Berlin-Neukölln weiß, dass die meisten nur kurzfristig von der Straße wegkommen. „Die Jugendlichen, die bei uns landen, sind durch alle Roste gefallen.“ In zwölf Monaten können Jugendliche hier ihren Hauptschulabschluss nachholen – seit Juli auch im Rahmen von „Jump“. Doch so schlecht wie jetzt war die Disziplin der Kursteilnehmer noch nie, glaubt Otto. Die meisten kommen nur auf Druck der Arbeitsberater. Kein Wunder, so Otto, dass die Jugendlichen keinen Bock haben. Von ursprünglich 36 Kursteilnehmern sind nach einem halben Jahr nur noch 15 dabei. Und selbst von denen, die bis zum Schluss durchhalten, schaffen viele den Abschluss nicht. „Das Arbeitsamt steckt Leute in Projekte, die hätte man früher in Ruhe gelassen, weil sie nicht vermittelbar sind“, so Otto.

Wie bei der 18-jährigen Eileen ist der IB für die meisten eine Auffangstation. Eileen hatte massive Probleme mit dem Vater, geriet an die falschen Freunde und ging irgendwann einfach nicht mehr zur Schule. „Ich hab auf alles geschissen.“ Als ihr eine Freundin vom IB erzählte, wusste sie, dass dies ihre letzte Chance ist. Die Freundin hat den Kurs inzwischen abgebrochen, doch Eileen will durchhalten. Obwohl der IB auch eine Ausbildung in den Bereichen Elektrotechnik und Farbe anbietet, hat sie sich für die traditionelle Hauswirtschaft entschieden. Zukunftsträchtige Berufe? Fehlanzeige. Doch die Betreuer sind froh, wenn das Mädchen überhaupt zum Unterricht erscheint. Ob sie die Prüfung im Mai schafft? „Wenn ich noch einmal nicht komme, dann fliege ich.“ Die Jugendlichen bräuchten intensive Betreuung, sagt Otto. Auf dem regulären Arbeitsmarkt wird keiner dieser Jugendlichen eine Ausbildungsstelle finden, glaubt der Sozialarbeiter. Dem Arbeitsamt gehe es doch nur darum, seine Vermittlungsquoten zu erhöhen.

„Ich will nicht den ganzen Tag Blumen schneiden.“ Nach der Realschule konnte sich die 20-jährige Tanja für keinen Beruf entscheiden. Beim Kreuzberger Bildungswerk wollte sie in verschiedene Berufszweige wie Bekleidung, kaufmännischer Bereich oder Küche schnuppern. „Nach drei Monaten sollte eigentlich eine gewisse Orientierung stattgefunden haben“, sagt Betreuerin Heike Landmann. Doch Tanja ist ernüchtert. Statt in der Floristik hätte sie gern im Holzbereich gearbeitet. Doch die Jungs mit ihren Macho-Sprüchen schreckten sie ab. Nun will sie auf eigene Faust eine Stelle suchen.

„Eine gute Ausbildung ist die Voraussetzung dafür, dass sich Mädchen emanzipieren“, hatte die sozialpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Ekin Deligöz, vor dem Kongress betont. Die Realität sieht bescheidener aus.

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