Die Wurzeln

Das Thema der Wiederauferstehung ist zentral im Gagá und unterscheidet den Kult von den übrigen populärreligiösen Manifestationen der Insel. Offensichtlich ist die Gemeinsamkeit mit dem christlichen Osterfest. Die Gagá-Zeremonien, die in der Fastenzeit beginnen, erreichen in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag ihren Höhepunkt.

Unter Trommeln und Gesängen findet das Stuhl-Ritual, eine symbolische Inthronisierung, statt. Jedes Gagá-Mitglied wird dabei auf einem Stuhl drei Mal in die Höhe gehoben und so in seinem Amt bestätigt oder neu ins Amt eingesetzt. Begleitet von Rosenkranzgebeten werden Instrumente und sonstige Kultgegenstände geweiht. Gegen Morgengrauen ziehen sich die Majore und Königinnen in ihre Hütten zurück, um sich zu kostümieren.

Dabei fallen sie in einen katatonischen Zustand: Sie „sterben“. In ein weißes Leichentuch gehüllt trägt der dueño del gagá die „Toten“ wieder zur Festgesellschaft zurück und „erweckt“ sie dort zu neuem Leben. Die Majoren und Königinnen sind als Gagá-Götter auferstanden und präsentieren sich nun in ihren farbenprächtigen Kostümen. Der Gagá-Umzug beginnt.

Als batey werden kleine Gemeinden der Haitianer im Ostteil Hispaniolas bezeichnet, die als braceros, als Saisonarbeiter für Zuckerrohranbau und -ernte angeheuert werden. Längst haben sich diese Immigranten in der Dominikanischen Republik auch über die Erntezeit hinaus sesshaft gemacht und sind ein fester Bestandteil der dominikanischen Gesellschaft geworden.

Die bateyes befinden sich abgelegen von den Dörfern und Städten zerstreut in den Zuckerrohrfeldern in unmittelbarer Nähe zu den Zuckerfabriken. Sie bestehen meist aus aneinandergereihten, primitivsten Baracken mit Wohneinheiten zu je einem Zimmer. Neben mangelhaften sanitären Einrichtungen und einer unzureichenden Nahrungs-, Trinkwasser- und Stromversorgung entbehren die bateyes auch jeglicher ärztlicher Betreuung.

Die braceros arbeiten ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen; Arbeitsunfälle an Händen und Füßen kommen häufig vor. Zusätzlich zu diesen miserablen Lebensbedingungen kommt die Angst vor Abschiebung durch den dominikanischen Staat. Kaum jemand verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis und selbst ihre in der Dominikanischen Republik geborenen Kinder erhalten nur mühevoll die dominikanische Staatsbürgerschaft. Offene Feindschaft und Missgunst gegenüber den Haitianern dominiert das Verhältnis der Dominikaner zu den Immigranten.

Der Import der haitianischen Erntearbeiter in die Dominikanische Republik schafft eine Situation, die vergleichbar ist mit derjenigen, die schon ihre aus Afrika eingeschleppten Vorfahren erleiden mussten. Es ist eine Art moderne Sklaverei. Diese Erfahrung hat bei der Entstehung des Gagá in der Dominikanischen Republik eine entscheidende Rolle gespielt. Der Gagá ist eine Antwort auf das moralische und physische Leid der haitianischen Immigranten und ihrer Nachfahren.

Die meisten der Gagá-Teilnehmer sind in den bateyes geboren. Ein Teil hat dominikanische Eltern, die Mehrzahl sind jedoch Dominikaner mit haitianischer Herkunft, die schon seit zwei bis drei Generationen in der Dominikanischen Republik leben. Viele von ihnen arbeiten in Santo Domingo oder in anderen Städten und haben sich wirtschaftlich und kulturell dem Gastland angepasst.

Dennoch fühlen sie sich ihrem batey verpflichtet, sehen darin ihre Wurzeln, den Ausgangspunkt ihres Lebens. Alljährlich kommen sie zurück, um am Gagá teilzunehmen.