piwik no script img

Die Monarchie ist reif für den TÜV

„Hollands König sollte wie der deutsche Bundespräsident funktionieren“: Immer mehr Politiker votieren für ein gewähltes Staatsoberhaupt

von HENK RAIJER

Stolz auf König und Vaterland? Die Niederländer? Vielleicht wenn „Oranje“ spielt und eigentlich auch nur dann, wenn es gegen die verhassten „Duitsers“ geht. Überhaupt, unter den elf, die vor jedem Fußball-Länderspiel beim Abspielen der Hymne lustlos die Lippen bewegen, sind in der Regel mindestens sechs Schwarze. Nein, für ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein sind die katholisch-leutseligen Limburger zu verschieden von den calvinistisch-rechthaberischen Holländern. Von den rund eineinhalb Millionen Einwanderern sowieso.

Einen nationalen Konsens gab es bislang nur in einem Punkt: der Stellung des Hauses Oranje-Nassau. Und der ist seit einigen Tagen auch noch dahin. Thom de Graaf, Fraktionsvorsitzender der linksliberalen Regierungspartei D 66, hatte Mitte April im Fernsehen den Rücktritt der Königin aus der Regierung verlangt und damit binnen 24 Stunden eine mittlere Staatsaffäre ausgelöst. Tagelang bestimmte die Diskussion um Modernisierung oder gar Abschaffung der Monarchie die Schlagzeilen. De Graaf erläuterte seine Forderung nach einer baldigen Verfassungsänderung mit der Bemerkung, er halte die heutige Praxis, wonach die Königin Mitglied der Regierung ist und auch bei der Regierungsbildung eine wichtige Stimme hat, für „nicht mehr zeitgemäß“. Es könne nicht angehen, sagte de Graaf, „dass ein Staatsoberhaupt einerseits über den politischen Parteien steht, auf der andereren Seite aber als König innerhalb der Regierung aktiv mitbestimmt“.

Tatsächlich hat Hollands Königin Beatrix (62), die am 30. April ihr 20-jähriges Dienstjubiläum feiert, Aufgaben und Befugnisse, die, anders als etwa in Belgien, Schweden oder Dänemark, weit übers Zeremonielle hinausgehen. So fährt sie nicht nur alljährlich im September in ihrer goldenen Kutsche zur Eröffnungssitzung des Parlaments durch Den Haag und liest eine aufmunternde Rede runter. Hollands Staatsoberhaupt befasst sich seit Gründung der konstitutionellen Monarchie im Jahre 1848 ausdrücklich auch mit Regierungsangelegenheiten. Jeden Montagmorgen berät die Königin mit dem Ministerpräsidenten aktuelle politische Fragen. Sie unterhält regelmäßige Kontakte zu Ministern, den Chefs der Provinzregierungen, Bürgermeistern und niederländischen Botschaftern. Nach Parlamentswahlen oder einer Regierungskrise kann die Königin einen so genannten Formateur einsetzen und ihn mit der Bildung einer Regierung beauftragen. Sie vereidigt die Kabinettsmitglieder und unterzeichnet Gesetzesvorlagen.

Für den Liberalen Thom de Graaf sind diese Kompetenzen der Monarchin staatsrechtliche Antiquitäten und gehören gestrichen. Er stelle, wie er sagt, keineswegs die Monarchie zur Disposition. Sie gehöre jedoch dringend modernisiert. „Der holländische König sollte wie der deutsche Bundespräsident funktionieren“, findet de Graaf: „Autorität ja, aber mit der gebührenden Distanz zum politischen Alltag. Wenn wir nicht bald etwas ändern, nehmen die Spekulationen über den Einfluss des Staatsoberhauptes zu, und das schadet seiner Autorität.“

Hintergrund dieser Anspielung de Graafs ist nicht nur die wachsende Unzufriedenheit vieler Politiker mit der Machtfülle der Königin, sondern auch die Anhäufung eigenwilliger Entscheidungen, mit denen Beatrix in jüngster Zeit bei Regierung und Parlament für Irritationen gesorgt hat. Ihren Auftrag, nach außen die Position der Regierung zu vertreten, nach innen unbedingte Unparteilichkeit walten zu lassen und ansonsten eine vorbildliche Mutter der Nation zu sein, pflegt Ihre Majestät zuweilen recht eigenwillig auszulegen. 1995 etwa setzte Beatrix durch ihr Verhalten die Beziehungen Den Haags zur ehemaligen Kolonie Indonesien unter Strom. Beim Staatsbesuch in Jakarta bestand die Königin ohne Rücksprache mit Premierminister Wim Kok darauf, anlässlich der 50-Jahr-Feier der Unabhängigkeit Indonesiens Staatschef Suharto mit einer Rede auf Holländisch zu antworten, der Sprache der früheren Kolonialmacht, oder gar nicht zu reden. Was dann auch geschah.

Derselbe Wim Kok musste Anfang dieses Jahres aus der Zeitung erfahren, dass sich die Königin einen Dreck darum scherte, dass ihr Premier wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ in Wien einer der Initiatoren der internationalen Isolierung Österreichs war. Wintersport ist Privatsache, fand Beatrix, und fuhr samt Familie zum Skilaufen nach Lech am See.

Ihren größten Coup landete Beatrix, als sie 1994 nach den Wahlen die größte Fraktion, die christdemokratische CDA, beim königlichen Auftrag zur Regierungsbildung überging. In ihrem Buch „Beatrix, Einfluss und Macht einer eigensinnigen Monarchin“, das jetzt auf Niederländisch erschien, zeigen Redmar Kooistra und Stephan Koole auf, wie die Königin den Spitzenkandidaten der CDA im Regen stehen ließ, weil sie ihn nicht ausstehen konnte. Und kurzerhand den ihr als Finanzminister vertrauten Sozialdemokraten Wim Kok mit der Regierungsbildung beauftragte.

Welche Ironie, dass ausgerechnet Wim Kok, der damals durch die königliche Intervention Chef einer „lila Koalition“ aus Sozialdemokraten (PvdA), Rechtsliberalen (VVD) und Linksliberalen (D 66) wurde und dessen Bündnis auch bei den Wahlen 1998 die Nase vorn hatte, der Königin nun beibringen muss, dass sich auch in seiner Partei die Stimmen für eine Einschränkung der königlichen Macht mehren.

Die „Oranje-Bastion“ steht

Wim Witteveen, Vorsitzender der PvdA-Grundsatzkommission, plädiert für eine Republik mit gewähltem Staatsoberhaupt. In seinem Essay „Dynamik von Macht und Gegenmacht“ heißt es: „Alle Ämter oder Funktionen, sei es das des Volksvertreters oder Ministers, werden per Rotationsprinzip von Bürgern im Auftrag anderer Bürger ausgefüllt. Es ist nicht einzusehen, warum wir für die Funktion des Staatsoberhauptes eine Ausnahme machen sollten.“

Das Zustandekommen einer Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung dürfte indes eine Weile auf sich warten lassen. Die „Oranje-Bastion“ aus Christdemokraten (CDA), Rechtsliberalen (VVD) und den christlichen Parteien steht. In der Zweiten Kammer des Parlaments verfügen sie zusammen über 73 der 150 Sitze, in der Ersten Kammer über 43 von 75. Und das Volk? Nach einer Online-Umfrage der Zeitung De Volkskrant von letzter Woche unter knapp 2.000 Lesern sprachen sich 53 Prozent für die Beibehaltung des Status quo aus, 38 Prozent votierten für die Republik, und 8 Prozent zeigten sich unentschlossen. Einer Umfrage von NRC Handelsblad zufolge befürworten 70 Prozent der Niederländer eine Reform der Monarchie.

Bei solchen Präferenzen drängt sich die Frage auf, was die Untertanen von der Person Beatrix halten. Tatsache ist: Beatrix, die sich zu Beginn ihrer Amtszeit durch unbändige Arbeitswut Ansehen erwarb, hat in den 20 Jahren seit dem 30. April 1980 viel an Sympathie eingebüßt. Anders als ihre Mutter Juliana (91), die die Niederländer ihres hausfraulichen Charmes wegen als „Majestät von nebenan“ ins Herz geschlossen hatten, gilt die blaublütige Juristin als kühl und distanziert. „Ihre Frisur betont dieses Image noch“, stellte vor kurzem der Medienberater Charles Huijskens in De Volkskrant fest. „Diese Haartracht kommt doch daher wie ein Helm, den sie sich jeden Morgen wieder aufsetzt.“ Auch ihre Sprache wirke gestochen, einstudiert, daher unecht.

Ganz locker und sympathisch kommt im Vergleich zu ihr Claus von Amsberg „rüber“. Keiner aus dem Hause Oranje ist beim Volke so beliebt wie der Prinzgemahl. In einem ZDF-Interview sagte Prinz Claus im letzten Jahr: „Die Niederlande sind gar keine Monarchie. Die Niederlande sind eine Republik mit einem Herrscher in Erbfolge, der in engem Kontakt zur Bevölkerung steht. Die Außenminister haben 1815 auf dem Wiener Kongress beschlossen, dass die Niederlande eine Monarchie werden – wahrscheinlich in der Pause zwischen zwei Walzern.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen