piwik no script img

Flutsch Fiction

„Ich kann Tracks eher träumen, ich brauche ein bestimmtes Feeling, dann passieren Sacheneinfach“: Ein Porträt des Neuberliner Technoproduzenten und Labelbetreibers Heiko Laux

von ANDREAS HARTMANN

Heiko Laux sitzt am Küchentisch einer frisch renovierten Wohnung in Friedrichshain. In seinem neuen Zuhause. Sein altes war in Bad Nauheim, einem kleinen Städtchen in der Nähe von Frankfurt. Dort betrieb er gut sechs Jahre lang sein Label Kanzleramt sozusagen als Wohnzimmerfirma, nämlich vom Telefon auf seinem Nachttisch aus. Doch Heiko Laux hat nicht nur ein Label zu betreuen, das kontinuierlich gewachsen ist und sich mit Stamm-Acts wie Johannes Heil, Anthony Rother und Christian Morgenstern als Qualitätssiegel für guten Techno etabliert hat, sondern er ist auch begehrter DJ. Und natürlich vor allem selbst Technoproduzent.

So war es irgendwann klar für Laux, dass er sich neue Wege der Selbstvermarktung und neue Betätigungsfelder suchen musste. Dafür scheint auch Betreibern von Technolabels in der Provinz derzeit nichts Besseres einzufallen als all den hunderttausend Managern in anderen Branchen auch: Auf nach Berlin, hier wird alles besser und anders.

Und tatsächlich: Zum Zeitpunkt des Interviews wird gerade das neue Kanzleramt-Office in Kreuzberg eingerichtet. Auch das neue Studio von Laux wird sich nicht mehr in seinem Schlafzimmer befinden, sondern direkt an das neue Büro anschließen.

Nun kommt Heiko Laux zwar aus Bad Nauheim. Trotzdem wurde er immer als Teil der Frankfurter Szene wahrgenommen. Schließlich war er im legendären Frankfurter Club Omen gern gesehener DJ, und auch die musikalische Ausrichtung seines Labels – eher harter Techno mit Hang zum Experimentellen – fügte sich recht gut in das Bild von Frankfurt als kompromissloser Techno-City. Doch genau wegen dieses Frankfurter Sogs besteht Heiko Laux darauf: „Ich wollte immer als Bad Nauheimer wahrgenommen werden. Das gab mir den nötigen Abstand, einige Dinge zu überdenken.“

In Berlin verhält sich die Sache für Laux nun genau andersrum: Weil die Stadt so groß ist, besteht für ihn die Chance, nicht als Teil eines bestimmten Berlin-Technos wahrgenommen zu werden, sondern weiterhin sein eigenes, spezielles Biotop zu pflegen. (Obwohl der Kanzleramt-Sound ziemlich genau die Schnittmenge der beiden Berliner Techno-Leuchttürme bildet, des Detroit-Techno auf Tresor-Records und des Minimal-Techno auf Basic Channel.) Heiko Laux’ Vorstellung ist es, das Bad Nauheimer Kleinstadt-Feeling zu konservieren und sich trotzdem zu verändern. „Ich muss hier in Berlin nicht unbedingt gleich irgendwelche Szeneverbindungen knüpfen. Allein die hiesige Aufbruchstimmung tut gut. Hier triffst du jemanden, man plant, etwas zusammen zu machen, und fünf Minuten später kann es schon passieren.“

Nun gut, eine ähnliche Euphorie über die Hauptstadt im Wandel kennt man auch aus den Cafés in Mitte und den Vorstandsetagen auf dem Potsdamer Platz. Doch billigere Mieten – „Unterschiede zwischen fünf und acht Mark pro Quadratmeter im Vergleich zu Frankfurt“ – sind eben auch für kleine Technoklitschen immer noch ein durchschlagendes Argument für die Hauptstadt.

Außerdem verkörpert Heiko Laux ja nicht nur den Labelbetreiber auf der Suche nach ökonomischen Standortvorteilen, sondern auch den Technoproduzenten, den Musiker und Künstler. „Ich habe meine aktuelle Platte, ‚Sense Fiction‘, hier in Berlin zu einem Zeitpunkt aufgenommen, da stand die Sache mit dem Umzug noch gar nicht fest. Doch während der Produktion habe ich mir gedacht: Irgendwie flutscht es hier künstlerisch einfach besser. Die Stadt hat Vibes – einfach auch wie man hier lebt und miteinander umgeht -, die ich perfekt in Sound umsetzen konnte.“

Vibes, für so etwas ist Heiko Laux empfänglich. Die Geräte in seinem Maschinenpark wollen von ihm die richtige Stimmung eingehaucht bekommen. „Wenn ich mir vornehme, jetzt den absoluten Killertrack zu produzieren, funktioniert nichts. Ich kann Tracks eher träumen. Ich brauche ein bestimmtes Feeling, dann passieren Sachen einfach.“ Es geht also um sinnliche Wahrnehmungen, die in Musik eine Form finden. „Wenn ein neuer Track im Club aufgelegt wird, ändert sich die Stimmung. Aber wir wissen nicht genau, wie und warum. Mit Sprache kann man das nicht erklären. Die Musik erklärt sich aus sich selbst heraus.“

Die Suche nach der Magie, nach dem kaum Erklärbaren, hat sich in „Sense Fiction“ hörbar niedergeschlagen. Laux’ Techno ist ein Hybrid aus gerader Linie und Jazz-infizierter Zerfaserung. „Als ich das letzte Mal in New York war, habe ich mir das ganze Jazz-Zeugs angehört. Miles Davis, Herbie Hancock und so weiter. Das gab es dort alles als Original-Vinyls, in schön zerfleddertem Zustand. Da ist mir dieser ganz spezielle Jazz-Spirit entgegengeschlagen.“

„Sense Fiction“. Der Plattentitel als programmatische Formel. Die Dinge wollen erfühlt werden, und das Leben wird Techno. Ein Anspruch, den man mit Heiko Laux auch so umschreiben kann: „Aus dem Fenster schauen und einfach Musik machen.“

Heiko Laux – „Sense Fiction“ [Kanzleramt/Zomba]

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen