: What`s new, Tigercat?
Tom Jones bewies auch im Berliner ICC, dass er noch einen guten Hüftschwung draufhatvon JENNI ZYLKA
In Großbritannien gibt es eine Diesellok, die nach ihm benannt ist. Die „Tom Jones“ stampft und schwitzt sich durch Pontypridd, Wales, denn dort wurde der Tiger geboren. Momentan stampft und schwitzt der sich durch Deutschland, durch ungemütliche, unplüschige, un-Las-Vegas-artige „locations“ wie das Berliner ICC, das von außen so hübsch und von innen so urologenkongressmäßig ist.
Aber egal, denn Tom Jones hat so viel Las Vegas und Plüsch und Schweiß im Gepäck, dass es für die mit Omma und Oppa und Brokern und falschen Blondinen ausverkaufte Halle ausreichen sollte. Als Intro läuft das reizende „The ballad of Tom Jones“ von Space mit Cerys Matthews, und ohnehin kann sich der Tiger in letzter Zeit, also den letzten 15 Jahren seiner Karriere, ü-b-er-haupt nicht beklagen. Zuerst die Wiederauferstehung, jedenfalls in Europa: 1987 mit „Kiss“ von dem Mann, der früher Prinz war, plus Art of Noise. Dann der Gastauftritt mit „It’s not unusual“ in „Mars Attacks“. Schließlich „Simpsons“, und „Reload“. Darauf singt Jones in 17 verschiedenen Duetten mehr oder weniger 17 GesangspartnerInnen nieder – bis auf einige Ausnahmen wie besagte Cerys Matthews oder die Stereophonics. Nun singt er in „Sex Bomb“ ganz alleine „I can give it to you every time it comes to your mind“ – und das ist ziemlich mutig, denn der Mann ist 60. Aber alle finden’s sexy, und „Sex Bomb“, produziert vom Hannoveraner Mousse T., ist hoch in den Charts.
Bevor aber der Saal dazu rocken darf, lässt Jones ein paar richtig schöne Schmacht-, Mitklatsch- und Schunkelfetzen wie „She’s a lady“, „Love me tonight“ und den 80er-Hit „If I only knew“ los. Drei dunkle Grazien singen die Backings, die Band ist ein hervorragendes Konglomerat aus unauffälligen und beizeiten sologeeigneten Musikern, wie etwa dem Mops an der Trompete, und Jones stampft und swingt auf der Bühne, dass die hässlichen ICC-Kongresskabinen-Wände wackeln. „Ach Tom Schohns“ seufzt das Publikum bei „Green Green Grass of Home“ kollektiv berlinerisch und wünscht sich, dass er seine graue Stahlwolle endlich aus dem T-Shirt lässt.
Aber Jones wartet bis nach der Pause. Mit „You can leave your hat on“ schmeißt er das schwarze Jackett weg und zuppelt am Gürtel, und dazu stehen ungewöhnlicherweise erst mal die Männer auf und wippen (an Kim Basinger denkend?) mit. Überhaupt: Wo sind eigentlich die ganzen schmachtenden Frauen, die vor Neid auf Jones’ Ehefrau Linda platzen (die er seit den Spätfünfzigern „every time it comes to her mind“ glücklich macht)? Nur eine einzige Dame in Jones’ Alter, irgendwo in der 17. Reihe, hat eine unglaubliche schwarz gefärbte Nähmaschinengarnrolle auf dem Kopf und trägt schreiende Klamotten. Nicht ein BH fliegt, nicht mal ein Hüfthalter. Nur zweimal werden magere Blumensträuße abgegeben, Deutsche sind halt nicht Las-Vegas-erprobt. Aber begeistert sind sie trotzdem alle, stehen andauernd auf und spielen zu „Are you gonna go my way?“ von Lenny Kravitz Luftgitarre.
Jones ist nicht so cool wie Elvis, aber er kannte ihn persönlich, und das ist cool. Er sieht auch nicht wirklich sexy aus, aber es gibt nicht viele Männer außer Otis Redding, die „Action speaks louder than words, and I’m a man with a big experience“ glaubhaft rüberbringen. Er ist nicht so peinlich wie Engelbert Humperdinck oder Tony Christie, aber bei manchen Songs möchte man dennoch stöhnen: „Wer zu Tom Jones geht, der geht auch zu den Chippendales!“ Jones ist eine eigene Qualität von Show, walisische Arbeiter-Authentizität mit einer Latte (ha!) von wirklich hervorragenden Songs wie „What’s new, pussycat?“, zu denen er über die Bühne walzt wie ein fetter, satter, zufriedener Kater, und dem Jonesschen Schmachtsex-Appeal. Er kann „Motherless Child“ live als groovige Soulballade schöner interpretieren, als das Portishead-Stück auf „Reload“ produziert wurde. Er wackelt mit den Hüften wie ein rolliger Tanzbär, allerdings hat er um die Hüften auch einiges, mit dem er wackeln kann. Und er macht sogar ein paar Entertainer-Witze für sein deutsches Publikum: „Everything okay so far? Just checking, haha!“
Es gibt nicht viele Acts, die ein so breit gefächertes Publikum unter einen Hut bringen. Ein paar Kinder singen begeistert „Sex bomb, sex bomb, you’re my sex bomb ...“ mit, nur weil es so einfach mitzusingen ist, und weil der Tiger es überflüssigerweise wiederholt, anstatt einen seiner fantastischen 30 Jahre alten Hits zu bringen. Vergeblich wartet man auf „Puppet Man“, worin er doch so schlüpfrig „If you wanna see me do my thing, you gotta pull my string“ stöhnen könnte.
Stattdessen gibt es eine knappe Version von „It’s not unusual“. Das Stück ist immerhin 36 Jahre alt, geschrieben wurde es von Jones’ langjährigem Manager und Lieblingssongwriter Gordon Mills, mit dessen Tod 1987 Jones sich eigentlich auch hätte abschießen können. Aber nicht der Tiger – nicht ein Mann, dessen erotisch-gurrendes, gepresstes Tremolo Roland Kaiser nicht mal mit einer teuren Stimmband-OP erreichen könnte. Jones lässt sich einfach von Sohn Mark managen und macht weiter, bringt das Berliner ICC „zum Kochen“, wie er wohl sagen würde, und er beherrscht außer „Dankeschöin!“ noch mehr Deutsch. Nach dem Konzert schwirren Gesprächsfetzen über die Roll- und anderen Treppen: „So’n Hüftschwung – da kannste wat von lernen!“ Und wenn er nicht bald platzt, dann singt Tom Jones noch die nächsten 30 Jahre.
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