: US-Marines wollen Insel stürmen
Seit mehr als einem Jahr halten Demonstranten eine puertoricanische Insel besetzt. Die USA testen dort ihre Bomben. Nun wollen sie das Eiland räumen. Vor der Küste kreuzen bereits zwei Fregatten mit Marines und FBI-Agenten an Bordaus Washington PETER TAUTFEST
Janet Reno, Justizministerin der USA, holt erneut zum Schlag aus und wiederum dürfte sie eine zahlenmäßig starke Gruppe US-amerikanischer Hispanics gegen sich und die Regierung Bill Clintons aufbringen – diesmal nicht die Exilkubaner in Miami, sondern die Puertoricaner in New York und Chicago. Vor der Küste Puerto Ricos kreuzen zwei US-amerikanische Fregatten mit 1.000 Marines und einem Kontingent FBI-Agenten an Bord. Sie werden irgendwann im Laufe dieser Woche – vielleicht schon heute – die kleine Insel Vieques stürmen, die von der Hauptinsel des Landes nur durch acht Kilometer glasklares, tiefblaues Wasser getrennt ist. Sie sollen die Menschen, die Vieques seit 377 Tagen besetzen, festnehmen und samt ihrem Zeltlager wegschleppen.
Hintergrund der Konfrontation ist ein Unfall, der sich im April letzten Jahres ereignete. Die USA benutzen die kleine Insel als Manövergelände, und bei einem missglückten Bombenabwurf wurde vor etwas mehr als einem Jahr ein Wächter der Insel getötet. Über Puerto Rico brandete eine Welle des Protestes, denn noch sitzt der Ärger tief über die Enteignung der Insel Anfang der Vierzigerjahre zur Schaffung eines Truppenübungsplatzes, von dem US-Militärs behaupten, dass er unverzichtbar ist. Nur auf Vieques können kombinierte Landungsmanöver mit gleichzeitiger Luft- und Seeunterstützung abgehalten werden – Manöver, die zur Zeit in Einzelübungen aufgeteilt an verschiedenen Plätzen der Welt stattfinden müssen. Mit dem Gouverneur Puerto Ricos, Pedro Rossello, handelte US-Präsident Clinton einen komplizierten Deal aus, der vorsah, dass gegen einen Betrag von 40 Millionen US-Dollar die USA den Schießplatz zwar weiterhin benutzen, aber nur noch Platzpatronen verwenden dürfen. Zu einem noch nicht genau festgelegten Zeitpunkt, aber vor Ablauf des Jahres 2002 sollte auf Puerto Rico eine Volksabstimmung über die künftige Verwendung der Insel abgehalten werden.
Sollte Vieques weiterhin für Beschießung und Erstürmung durch US-Truppen zur Verfügung stehen, winkten weitere 50 Millionen US-Dollar, andernfalls würden die USA ab Mai 2003 alle Schieß- und Bombenübungen einstellen. Clinton geriet sogleich doppelt in die Kritik. Dieselben Kritiker, für die die Rückgabe Panamas eine Katastrophe für die nationale Sicherheit der USA bedeutet, pochen angesichts drohender Konflikte in der Region auf die vitale Bedeutung dieses Truppenübungsplatzes in der Karibik. Auf Puerto Rico aber fühlten sich viele Menschen durch das Abkommen mit dem derzeitigen Gouverneur verschaukelt. Unter Führung Senator Ruben Berrios, dem Gegenkandidaten bei den Gouverneurswahlen in diesem Herbst und einem Mitglied der Unabhängigkeitspartei, begannen Puertoricaner die Insel zu besetzen – ein paar Dutzend in der Woche, einige hundert an Wochenenden.
Die Besatzer von der Insel zu vertreiben dürfte schwieriger werden, als die Befreiung des kubanischen Flüchtlingsjungen Elian Gonzales aus dem Haus seines Großonkels in Miami. In dem Jahr, in dem auf Vieques nicht bombardiert worden ist, ist zum Teil dichte Vegetation nachgewachsen, in der sich die Besetzer verstecken können: „Wir wissen, wo die Blindgänger liegen, die nicht“, sagte Carlos Zenon, ein sechzigjähriger Fischer, der Washington Post. Etliche Besetzer wollen vorerst abtauchen und nach der Räumung wiederkommen.
Wie auch immer die Auseinandersetzung um die Insel ausgeht, die Auswirkungen an der Heimatfront könnten gravierend sein. Von den 3,8 Millionen Puertoricanern, die von Geburt an einRecht auf die US-amerikanische Staatsbürgerschaft haben, besitzen fast alle Verwandte in den USA. In New York allein leben 900.000 Puertoricaner. Deren Stimme könnte für die Präsidentengattin Hillary Clinton bei der Wahl zur nächsten Senatorin New Yorks entscheidend sein. Bei der letzten Abstimmung der Puertoricaner 1998 über den Status ihrer Insel, die durch den spanischen Bürgerkrieg vor einhundert Jahren an die USA kam, stimmten 46,5 Prozent für den Beitritt, nur 2,5 für ein unabhängiges Puerto Rico.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen