: Kein Liebestaumel in Berlin
Wer hat die „Killer“-Mail „I love you“ bekommen? Siemens zum Beispiel. Dort mussten die Rechner heruntergefahren werden. In der Verwaltung dagegen hagelte es vor allem Warnungen
von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA, UWE RADA und RICHARD ROTHER
Der „Killer von Manila“ hat gestern auch die deutsche Hauptstadt erreicht. Sowohl in den Bundesministerien als auch in der Verwaltung waren E-Mails mit dem File-Namen ILOVE YOU.txt.vbs eingetroffen. Anders als in Niedersachsen oder im Londoner Unterhaus sorgte der Schneeballvirus in Berlin allerdings mehr für Aufregung denn für Schaden.
Mit am stärksten betroffen war Siemens. „Es sind sicherlich ein paar Rechner abgestürzt“, sagte eine Sprecherin. Nach Bekannwerden des Virus am späten Vormittag seien sämtliche Haupt-Mail-Server heruntergefahren worden. Dann hätten die Spezialisten fieberhaft daran gearbeitet, die Signatur des Virus zu entschlüsseln. Als der Code bekannt war, wurden die zentralen Server dahingehend in die Lage versetzt, entsprechende Mails nicht mehr durchzulassen. „Einige Zeit lang war das Mailsystem nicht zu benutzen.“ Im Anschluss hätten die Computerspezialisten einen Love-Killer entwickelt. Schon am Nachmittag war „das Thema gegessen“.
Bei Bewag, BVG, Bankgesellschaft und Schering hat sich der I-love-you-Virus breit gemacht. Schäden sind nach Angaben von Firmensprechern aber nicht aufgetreten, da rechtzeitig Warnungen herumgegangen sind.
Auch bei der Charité war das Virus angekommen. Warnungen, so hieß es aus der Pressestelle, seien jedoch sofort weitergeleitet worden. Die Patientendateien seien allerdings nicht betroffen, da dieser Bereich nicht mit Microsoft arbeite.
Betroffen waren ebenfalls die Verwaltungen. Doch die Liebe kann nicht allzu groß gewesen sein, weil großer Schaden offenbar nicht entstanden ist. „Wir haben an alle Mitarbeiter eine Warnung geschickt, diese Mail nicht zu öffnen“, sagte der Sprecher der Innenverwaltung, Stefan Paris.
Gleiches gilt auch für die brandenburgische Landesregierung und die Bundesministerien in Berlin. Unter anderem war das Virus im Auswärtigen Amt sowie im Finanzministerium aufgetaucht. Im Bundeswirtschaftsministerium wurde aus Sicherheit das interne E-Mail-System abgeschaltet, sodass das Ministerium gestern und auch heute nicht über elektronische Post zu erreichen war bzw. ist.
Unterdessen hat Innenminister Otto Schily (SPD) Experten der so genannten Task Force Sicheres Internet zusammengerufen, um wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten. Beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), so Schily, werde derzeit mit Hochdruck an der Analyse des Virus sowie entsprechenden Schutzmaßnahmen gearbeitet. Schily verwies einmal mehr darauf, dass es sich bei solchen Angriffen keineswegs um „technische Spielereien“ handele, sondern um „zerstörerische Aktionen, die mit allen Mitteln verhindert werden müssen“.
Während die Berliner Verwaltung noch halbwegs glimpflich davongekommen zu sein scheint, haben private Nutzer mehr Probleme gehabt. Beim „PC Notruf“, einem 24-Stunden-Dienst, gingen gestern verstärkt Anrufe von Privatkunden ein, die die E-Mail bekommen und geöffnet hatten. „Unsere Techniker waren viel unterwegs“, sagte der Techniker Rober Gruschke. „Gerade Privatleute leiten so was gerne weiter.“ Den einzigen Rat, den Gruschke derzeit geben kann: „Die Nachricht ignorieren und löschen.“ Der Techniker empfiehlt zudem, den Postausgang zu kontrollieren.
Glück im Unglück hat die Polizei. Weil sie ohnehin nur über wenige Computer mit Internetzugang verfügt – die dienen der öffentlichen Darstellung –, ist die Behörde von dem Virus verschont geblieben.
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