piwik no script img

Bergwerk soll herhalten

Ukrainische Anti-Atom-Aktivisten fürchten, dass im geplanten Endlager auch Atommüll aus dem Westen eingelagert werden könnte

DONETSK taz ■ Merken Sie sich den Namen Artemowsk. Die ukrainische Industriestadt im Donetsker Gebiet ist möglicherweise bald um eine Branche „reicher“: Der Forschungsleiter zur Auswahl von Atommülllagerstätten in der Ukraine, Dmitri Kruschchew, favorisiert den Standort Artemowsk. Atommüll soll in einem Salzbergwerk endgelagert werden, und auf den Chefgeologen der Ukraine und das Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften wird gehört. Dessen Wahl widerspricht zwar dem geologischen Grundsatz, dass eine Deponie dicht sein soll, vor allem bei hochradioaktivem Müll. Denn ein bereits kommerziell genutztes Bergwerk bietet zu viele Pfade, über die Radioaktivität in die Biosphäre gelangen kann. Doch was nutzt dieses Wissen, wenn die Not regiert.

In der Ukraine gibt es fünf AKW-Zentren mit insgesamt 14 Reaktoren, von denen zur Zeit 11 in Betrieb sind, sie produzieren 43 Prozent des Stroms. Stromabschaltungen gehören zum ukrainischen Alltag. In der Mittagszeit sitzt man in kleineren Städten ohne Strom, ausgeklügelte Zeitpläne für Stromabschaltungen gibt es in den Großstädten. Die Energiekrise wird als wichtigste Aufgabe der Regierung gesehen, und die offizielle Politik klammert sich an den Reaktorbestand.

Das hat weitergehende Folgen. Seit dem Zusammenbruch der UdSSR weigert sich Russland, abgebrannte Brennelemente anzunehmen. Folglich muss die Ukraine Zwischen- und Endlagerkapazitäten schaffen. Die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl vor 14 Jahren hat die Menschen in der Ukraine jedoch auch stark sensibilisiert für die Gefahren der Atomkraft. Ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen überspannt das Land. In Artemowsk sind es vor allem Mama-86 und die Umweltgruppe Bakhmat, die Petitionen einreichen, Ausstellungen zu alternativen Energien und Hearings organisieren. Was die Umweltschützer bewegt, formuliert Julia Myasischewa von Mama-86: „Wenn in Artemowsk hochradioaktiver Müll eingelagert wird, dann bietet sich der entsorgungsgeschüttelten Atombranche hier zu Lande und in anderen westlichen Atomstromnationen ein Ausweichplatz. Die ukrainische Not macht nicht nur erfinderisch und empfänglich für derartige Notlösungen, sondern auch empfänglich für Devisen.“

WOLFGANG EHMKE

Der Autor ist Mitglied der BI Lüchow-Dannenberg.

Kontakt zur BI in der Ukraine: galina@inca.donetsk.ua

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen