: Erst nach dem Abpfiff gekämpft
■ Der FC St. Pauli erreicht beim Karlsruher SC ein klägliches 0:0
Wer am Freitagabend nach dem Schlusspfiff im Gästeblock des Karlsruher Wildparkstadions verharrte, konnte dafür eigentlich nur einen Grund haben: Er muss im Stehen eingeschlafen sein. Bis dann, so etwa dreißig Sekunden nach Abpfiff, zaghaft aufbrandender Applaus für ein sanftes Herübergleiten von der Welt des Traumes in die grausame Realität sorgte und zu Beobachtungen Anlass gab, die interessanter waren als das Spiel des FC St. Pauli beim KSC zuvor.
Sei es eine Geste der Entschuldigung, sei es der Versuch, Applaus zu erhaschen: Jedenfalls taten einige FC-Spieler nach Abpfiff etwas, was sie mit wenigen Ausnahmen neunzig Minuten zuvor konsequent vermieden hatten. Sie bewegten sich. Und zwar in Richtung Fankurve. Diese überraschende Tatsache wurde dann im Falle des tapfer ra-ckernden Stephan Hanke mit höflichem Applaus bedacht. Andere Spieler, für die der Weg zum Zaun die längste Strecke des Abends war, wurden von der gepeinigten Fanschar geflissentlich ignoriert.
Wiederum andere Arbeitnehmer des akut abstiegsbedrohten Millerntor-Vereins zelebrierten das Spielende etwas theatralischer: Wie vom Blitz getroffen fielen sie nach Schlusspfiff auf den Rasen und haderten verzweifelten Blickes mit dem Schicksal. Fast hätte man vergessen, dass neunzig Minuten vorher niemand den Eindruck hatte, hier kämpfe eine Mannschaft um die dringend benötigten Punkte gegen den Abstieg: Chancen gab es folglich wenige, und wenn höhere Mächte ein Einsehen hatten, wurden sie demütig vertan. So in der 47. Minute, als Ivan Klasnic eindrucksvoll untermauerte, dass die angeblich an ihm interessierten Clubs aus dem In- und Ausland ihn noch nicht einmal zum Elfmeterschießen verpflichten sollten.
Die Karlsruher haben indes den entscheidenden Schritt Richtung Regionalliga getan. Seit Freitagabend sind sie rechnerisch abgestiegen. Dass die Karlsruher auch kein Geld mehr haben und mit einem Zuschuss von Michael Kölmels Vermarktungsagentur Sportwelt rechnen müssen, bewies nach Spielschluss paradigmatisch eine Gruppe Rechtsradikaler.
Sie weigerte sich, ihre üppige Kneipen-Rechnung zu begleichen. Die vom Wirt herbeigerufene Polizei hatte dann das Vergnügen, sich mit den aufrechten Deutschen eine kleine Schlacht zu liefern. Wäre sie dabei so entschlossen zu Werke gegangen wie 22 junge Herren zuvor auf dem Spielfeld – in der Karlsruher Innenstadt stünde heute wohl kein Stein mehr auf dem anderen.
Christoph Ruf
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