: „Nicht den Mond anbellen“
Die gegenwärtigen Irritation auf beiden Seiten des Atlantiks sind nicht als „Clash of Civilizations“ zu beschreiben: Karsten Voigt über den Wandel der deutsch-amerikanischen Beziehungen und die Gefahr transatlantischer Konflikte
taz: Herr Voigt, sind die Auseinandersetzung zwischen USA und Europa um die Besetzung des IWF-Chefpostens, das Scheitern des deutschen Kandidaten Koch-Weser und die Verstimmungen hinter den Kulissen Zeichen einer tiefer gehenden Krise? Könnte es sein, dass nach dem Ende der bipolaren Welt die Unterschiede zwischen USA und Europa deutlicher hervortreten?
Karsten Voigt: Das sind typische Geburtswehen einer neuen Phase im europäisch-amerikanischen und im deutsch-amerikanischen Verhältnis – eine neue Phase des Atlantizismus. Die USA als einzig verbliebene Weltmacht haben es mit einem zunehmend selbstbewussten Europa zu tun und einem Deutschland, das lernt, sich zu artikulieren. Europa will sich hoffentlich nicht von den USA entfernen, auch keinen Gegenpol bilden, sondern als Partner ernst genommen und deshalb stärker werden. Das Problem ist nicht die amerikanische Stärke, sondern die europäische Schwäche.
Aber werden gerade jetzt die kulturellen Differenzen zwischen Europa und den USA nicht immer deutlicher?
Diese kulturellen Unterschiede hat es immer gegeben, sie werden nur heute bewusster. Die USA sind die kulturelle Leitnation in der Welt, und das nicht nur im Bereich der so genannten populären Kultur, sondern auch, wenn man sich die Museen ansieht, in der Malerei, in der Hochkultur.
Die Vorstellung, dass die Amerikaner nur für Pop- und McDonald-Kultur zuständig seien, für das, was man früher Zivilisation nannte, und die Deutschen für Goethe, Schiller und für die Philosophie, die trägt nicht mehr. Wenn man sich die Museen und Galerien oder die Literatur anschaut, stellt man fest, dass Amerika heute einer der kulturell attraktivsten Orte der Welt ist. Das ist eine der wenigen Situationen, die es, glaube ich, seit dem Römischen Reich nicht mehr gegeben hat: dass eine Nation nicht nur militärisch und wirtschaftlich die stärkste Nation darstellt, sondern auch die kulturell attraktivste. Deshalb muss sich Europa schon verdammt anstrengen, um in diesen Bereichen ein seriöser Partner zu sein, kulturell und wirtschaftlich durch den Euro.
Was kann Europa von den USA lernen?
Zum Beispiel Flexibilität. In Amerika können Führungspersönlichkeiten zwischen Wirtschaft, Universitäten und der Administration hin und her wechseln. Bei uns gibt es eine Versäulung der Gesellschaft: Wer einmal in der Universität landet, kann nicht mehr in die Wirtschaft wechseln und von ihr wieder in den öffentlichen Dienst zurückkehren. Das halte ich für ein Schwächezeichen. Wir müssen Jüngeren auch schneller den Einstieg in hervorragende Bereiche der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft verschaffen.
Der amerikanische Historiker Paul Kennedy sagt: „Die USA sind der Mannschaftskapitän oder sie sitzen schmollend in der Ecke.“ Wenn es ins politische Kalkül passt, etwa bei Nordkorea, Iran oder Irak, werden Menschenrechte von den USA oft aufs Tapet gebracht. In Chile und anderen Staaten entscheiden sich die Amerikaner dagegen für Machtpolitik. Kommen Sie mit dieser Menschenrechtspolitik zurecht?
Da sollten wir mit uns selbst ehrlicher umgehen. Werte sind per Definition global und unbegrenzt, Interessen und Fähigkeiten, die man hat, um seine eigenen Werte umzusetzen, sind per Definition begrenzt. Deshalb wird es immer ein Spannungsverhältnis geben zwischen Wertorientierung einerseits und Interessen und Möglichkeiten andererseits. Eine Außenpolitik, die keine Werte setzt, wäre unmoralisch. Aber eine Politik, die Risiken und Kosten nicht berücksichtigt, wäre nicht ehrlich. Das ist der Unterscheid zwischen Politik und Literatur. Ich kann über alles, was ich für negativ halte, schreiben, aber ich kann nicht alles, was ich für negativ halte, beseitigen.
Trotzdem gehen die USA manchmal nach dem Motto vor: Einer gegen alle. Die ganze Welt ist für internationale Abkommen zum Klimaschutz, Stopp von Atomtests, Verbot von Landminen etc. Aber die USA blockieren. Werden wir Europäer von den Amerikanern ernst genommen?
Ob die Amerikaner uns als Partner ernst nehmen, ist nicht meine Fragestellung. Vielmehr, ob wir als Europäer uns so weit stärken, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik und in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, dass die Amerikaner erkennen müssen: Das ist ein ernst zu nehmender Partner. Es hilft nichts, den Mond anzubellen, weil er so weit entfernt ist.
Sie kennen das Buch von Samuel Huntington „Der Kampf der Kulturen“. Darin ist von einer europäisch-amerikanischen Kultur die Rede. Auch wenn man Huntingtons Thesen grundsätzlich bezweifelt – vielleicht wird jetzt deutlich, dass es eine einheitlich amerikanisch-europäische Kultur gar nicht gibt.
Ich habe persönlich mit Huntington über sein Buch gesprochen. Wie immer in einer falschen Analyse gibt es ein paar wahre Elemente. Aber die Gesamtanlage einer These vom „Clash of Civilizations“ halte ich nicht für die korrekte Beschreibung der auf uns zukommenden Probleme. Erst recht hielte ich es für falsch, aus den gegenwärtigen Irritationen einen „clash of civilizations“ zu beiden Seiten des Atlantiks zu konstruieren. Das Gegenteil ist der Fall. In vielerlei Hinsicht durchdringen die Amerikaner mit ihrer Kultur und Politik Europa mehr als je zuvor. Und mehr als je zuvor sind so genannte „globale“ Konzerne in ihrem Kern europäisch-amerikanische Konzerne. Es gibt in diesem Zusammenwirken eine gewisse Ironie. Die amerikanische Kultur, die sich heute in Europa auswirkt, ist in einem sehr starken Maße von europäischen Immigranten geprägt, die Europa verlassen wollten und Deutschland verlassen mussten, weil sie hier mit ihrer Kultur keine Basis fanden. Das heißt: Die Stärke und der Reichtum der amerikanischen Kultur beruht in einem sehr starken Maß auf europäischen Traditionen.
Dass ein neunjähriges Kind in den Knast gesteckt wird, weil man ihm sexuelle Perversionen vorwirft, oder dass sich in den Schulen Kinder regelmäßig umbringen – das zeigt doch wohl, dass etwas schief läuft innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Können Sie mit Ihren amerikanischen Partnern darüber reden?
Als am Beginn des 20. Jahrhunderts in Italien noch Geißelungen stattfanden, aus religiösen Motiven, oder Protestanten im Norden – so erinnere ich das noch aus meiner Jugend – Katholiken im Süden Deutschlands nicht heiraten konnten, weil wechselseitige Vorurteile dominierten, da hat auch niemand geglaubt, dass dieser Clash of Civilizations in Europa und in Deutschland bedeutete, es gäbe nicht trotzdem gemeinsame deutsche oder europäische Identitäten.
Jetzt werden bestimmte kulturelle Differenzen auch aufgeplustert. Ich muss sagen, dass ich mich im jüdisch-liberalen Milieu in New York und San Francisco mehr zu Hause fühle als unter den deutschen Schuhplattler-Emigranten im Mittleren Westen. Ich kann nicht sehen, dass die Scheidelinien durch den Atlantik laufen. Sie laufen zum Teil so, dass auch politische Überzeugungen den Atlantik überbrücken.
Es ist kein Geheimnis, dass der letzte Bundeskanzler in Amerika besonders geschätzt wurde. Was erleben Sie als Sozialdemokrat in den USA?
Zuerst einmal gab es Vorbehalte gegenüber einer rot-grünen Regierung und Mehrheit im Parlament. Aber nachdem sie sich die Leute angeguckt und mit ihnen Kontakt aufgenommen haben, mit Schröder oder Fischer, haben sich exzellente persönliche Beziehungen herauskristallisiert zwischen Clinton und Schröder, Fischer und Albright, Scharping und Cohen. Da sind die Amerikaner undogmatisch und sagen: Mit denen können wir gut.
Im Übrigen: Aus Sicht eines amerikanischen Republikaners, aber auch manches Demokraten, sind die deutschen Parteien sowieso alles verschiedene Varianten der Sozialdemokratie. Weil sie alle das Leitbild einer Mischung von sozialen Komponenten vertreten, die in Amerika so nicht vorhanden ist. Selbst Christdemokraten, die in die USA hinüberfahren, haben manchmal Schwierigkeiten, den amerikanischen Abgeordneten ihre Position in Rentenfragen, Krankenversicherung und Mitbestimmung zu erläutern. Sie erscheinen den Amerikanern sozialdemokratisch verseucht. Wir empfinden andererseits die Differenz zwischen Republikanern und Demokraten nicht so stark und sprechen eben von „den Amerikanern.“
Wie geht es weiter?
In manchen Bereichen werden die Unterschiede paradoxerweise stärker spürbar, weil wir näher aneinander gerückt sind. Dinge wie Datenschutz, die beim elektronischen Handel geregelt werden müssen, wurden früher nicht mal auf europäischer Ebene, sondern nur auf nationalstaatlicher Ebene geregelt. Da stoßen heute tatsächlich zwei Kulturen aufeinander. Die einen wollen das mehr privatwirtschaftlich regeln, die anderen sehen den Staat als Schutzinstrument für die Privatsphäre des Bürgers. Das gleiche gilt für hormonbehandeltes Fleisch, Gentechnologie und viele Dinge, wo die wachsende Handels- und Kapitalverflechtung zu neuen Regelungen führt, die dann innenpolitisch relevant werden.
Wir erleben einen qualitativen Veränderungsprozess in der Weltökonomie und eine Revolution in den technischen Möglichkeiten von Elektronik und Medien. Das hat Auswirkungen auf unsere kulturelle, politische und militärische Zusammenarbeit. Ich glaube, dass hier auf deutscher Seite ein Defizit besteht, diese Herausforderungen schnell genug durch die eigene Modernisierung zu beantworten. Deshalb gucke ich weniger drauf, wo die USA Fehler machen, sondern ich sage: Wenn wir als Partner ernst genommen werden wollen, dann müssen wir das Modernisierungsdefizit in unserer Gesellschaft schneller abbauen. Interview: WERNER BLOCH
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