Körperversöhnung

■ Bei den „Blauen Tagen“ in Oldenburg wurde über Sexualität und Behinderung gesprochen

Wo soll man es sich gemütlich machen, wenn man kein Geld für eine eigene Wohnung hat? Wie soll Mann eine Frau beeindrucken, wenn man ihr nicht mal Blumen schenken kann? Solche Fragen stellen sich Menschen mit Behinderungen. Doch ihre Sexualität ist heutzutage immer noch ein Tabu, machte in dieser Woche Lothar Sandfort im Rahmen der „Blauen Tage“ in Oldenburg (veranstaltet vom Blauschimmel-Atelier) klar. Denn der befand gleich zu Anfang seines Vortrages über die „etwas andere sexuelle Befreiung“ behinderter Menschen: „Es ist ein Riesenerfolg, dass wir hier heute über Sexualität von Behinderten reden!“

Schließlich hat er selbst noch ganz andere Zeiten erlebt: Als der heutige Diplompsychologe 1971 durch einen Unfall querschnittsgelähmt wurde, gab es noch geschlossene Behinderteneinrichtungen mit strikter Geschlechtertrennung. „Durch die Öffnung der Einrichtungen kam auch das Thema Sexualität mit rein. Darauf war niemand vorbereitet.“

Und wenn sich dann bei den morgendlichen Waschungen der Penis versteifte, wurde meistens weggeschaut. PflegerInnen werden, so Sandfort, in solchen Momenten in ihrer eigenen Haltung zur Sexualität angesprochen. Stellen sie sich dem nicht, laufe die Lust der behinderten Menschen ins Leere. „Die von uns, die ein sexuelles Erlebnis haben wollen, müssen den Umweg gehen, dass sich das ganze Team darüber unterhält.“

Ob Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch Masturbationshilfe oder Körperkontakt zu anderen Behinderten: Alles laufe nur über Dritte, die sich als „Assistenten“ verstehen sollen – und dann „nörgeln auch noch lebenslänglich Therapeuten an unserem Körper rum“. Genau deshalb arbeitet Lothar Sandfort am Institut für systemische Beratung Behinderter in Trebel (Lüchow-Dannenberg), dem ein „Zentrum für selbstbestimmtes Leben“ angegliedert ist. „In der Beratung wird das Thema Sexualität stark nachgefragt“. Aber auch in einer Männergruppe, in der Lothar Sandfort mit der ehemaligen Berliner Prostituierten Nina de Vries zusammenarbeitet. Das Thema dabei: die Versöhnung mit dem eigenen Körper. Dabei wird nicht nur geredet sondern auch angefasst.

Aber solche sinnlichen Dienste werden in Deutschland im Gegensatz zu den Niederlanden von der Kasse nicht übernommen, sondern Cash bezahlt. Lust, so folgert Sandfort, wird Behinderten also immer noch nicht so recht zugeordet. In der öffentlichen Sprache gibt es Toiletten für „Männer“, „Frauen“ und geschlechtslose „Behinderte“. Dieses öffentliche Problem mit der Geschlechtlichkeit behinderter Menschen bestätigte bei dem Vortrag in Oldenburg auch eine junge Frau aus dem Publikum: „Was mich immer genervt hat war, dass die Männer immer so wahnsinnig anständig zu mir waren. Ich war doch scharf auf Erfahrungen!“

Marijke Gerwin