: Auschweifungen über das Genialische
■ Sexbomben mit Köpfchen: Steve Martins „Picasso im Lapin Agile“ im Altonaer Theater
In der Kaschemme „Das flinke Karnickel“ pustet ein Stammgast versonnen Seifenblasen in die Luft. Er tanzt ein wenig, dann genehmigt er sich einen. Kneipenalltag? Schon, wenn da nicht die Prominenz wäre. Erst betritt Albert Einstein das Ambiente, später gesellt sich Picasso dazu. Das 20. Jahrhundert ist noch jung und trinkenderweise zu philosophieren in.
Der fiktive Dialog zwischen den beiden auf ihre Weise Begnadeten stammt aus der Feder Steve Martins, den man hierzulande meistenteils aus mäßig erheiternden Hollywood-Komödien wie Vater der Braut kennt. Das Altonaer Theater zeigt auf seiner Foyerbühne in Hamburger Erstaufführung mit Picasso im Lapin Agile nun, was sich in Picassos Stammkneipe auf dem Mont-martre womöglich hätte zutragen können: Zum Beispiel ein im Duellstil gehaltener Zeichenwettbewerb, den natürlich weder Einstein (Dirk Höner) noch Picasso (Jacques Ullrich) gewinnt. Schließlich sind beide wahre Genies. Und natürlich Sexbomben. Nur dass der eine sie statt im Kopf auf dem Papier zündet. Oder zum Prince-Hit „Kiss“ gerne auch mal mit entsprechendem Hüftschwung – was einige Damen prompt auffiepen lässt als wären sie bei den kalifornischen Dreamboys.
Derlei Showeinlagen (Tanzchoreografie: Katrin Gerken) sowie das Auskosten des pfiffigen Wortwitzes stehen bei Kai Hufnagel, der hier sein Regiedebut gibt, ganz oben. Das ist auch gut so. Zwar werden die verbalen Ausschweifungen über das Genialische in den Genies gerne von Stammgast Gaston (Volker Bogdan) und seiner schwachen Blase unterbrochen. Und auch Germaine (Katrin Gerken) reduziert die Männer gelassen auf zwei Typen, die das alles nur tun, um endlich eine griffige Aufreißmasche zu haben.
Trotzdem drängelt sich immer wieder pathetische Begeisterung durch den trockenen Humor hindurch: Dass Genius auf Genius trifft, lässt die Stimme schon mal so belegt klingen, als hätte man gerade Gott getroffen. Und tatsächlich tritt noch ein Engel aus der Zukunft aufs Tapet und komplettiert das heiß ersehnte Triptychon: Es ist Großmeister Elvis aus Memphis (Hans Schernthaner), der die Losung für das Jahrhundert bereits in den Händen hält.
Gewagte These des Abends: Nichts wird so sehr bewegen wie Kunst. Glaube an Unsterblichkeit durch das Schaffen von Unsterblichem vereinen Einstein, Picasso und Elvis Presley. Bleibt für den Rock–n' Roller nur, ein Pril-Fläschchen zu zücken und seinerseits ein paar Seifenblasen in den Raum zu schicken. So flüchtig kann Philosophie sein. Liv Heidbüchel
noch bis 11. Juni, 20 Uhr, Altonaer Theater
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