: Kritiker sind unerwünscht
Lange kämpfte das Kieler Toxikologische Institut um Unabhängigkeit. Jetzt wird es der Medizin untergeordnet und darf nur noch Medikamente prüfen
BERLIN taz ■ Kein Zweifel: Der Mann hat sich viele Feinde gemacht. Professor Otmar Wassermann, bis zum 1. April dieses Jahres Leiter des Instituts für Toxikologie an der Universität Kiel, war bei der Aufdeckung fast aller großen Umweltskandale der Republik dabei. Ob Seehundsterben durch Dünnsäureverklappung oder Pestizide im Trinkwasser, ob Gesundheitsschäden durch Ozonsmog oder illegale Atomgeschäfte: Stets war es der streitbare Wissenschaftler aus Kiel, der die abwiegelnden Aussagen von Politik und Industrie widerlegte.
Auch mit den eigenen Kollegen legte er sich dabei regelmäßig an. Besonders den Medizinern warf er „Gefälligkeitsgutachten“ vor – die Aufdeckung gekaufter Gutachten beispielsweise im Holzschutzmittelprozess 1990 bestätigte seine Anschuldigungen. Daneben trat er selbst als Gutachter auf und wies etwa 1996 nach, dass die Ärzteschaft schon lange von der Schädlichkeit von Amalgam in Zahnfüllungen wusste.
Mit dieser kritischen Haltung der Kieler Toxikologen wird es künftig vorbei sein, fürchtet Wassermann: Nicht nur ist seine Stelle von einer C4 auf eine schlechter dotierte C3-Professur mit weniger Eigenverantwortung heruntergestuft worden. Schwerer wiegt, dass das Institut für Toxikologie künftig den Medizinern untergeordnet sein wird. „Unabhängige, kritische Forschung ist dann nicht mehr gewährleistet“, meint Wassermann. Das Kieler Wissenschaftsministerium widerspricht der Darstellung, die Toxikologie sei zukünftig nicht mehr selbstständig. „Auch mit einer C3-Stelle ist die Unabhängigkeit des Instituts gewahrt“, beteuert Sprecher Gert Haack. Allerdings betont auch der Ausschreibungstext der Landesregierung einen „engen inhaltlichen Zusammenhang“ mit dem bisherigen Institut für Hygiene, das sich in Zukunft auch mit Umwelttoxikologie beschäftigen soll.
Während die Landesregierung darin eine „Stärkung der Toxikologie“ sieht, befürchtet Wassermann das Gegenteil. Seiner Information nach soll das neue Institut künftig nur noch Nebenwirkungen von Arzneimitteln untersuchen – eigentlich eine Aufgabe für Pharmakologen, nicht für Toxikologen. „Die Mediziner haben ein Interesse daran, Kritik zu verhindern“, meint Wassermann.
In seinem Kampf gegen die Abwertung der Stelle hat er viel Unterstützung erfahren. Nicht nur der Wissenschaftsrat empfahl im vergangenen Jahr die „Erhaltung des Lehrstuhls für Toxikologie (C4) in Kiel“; über 600 ähnliche Briefe aus dem In- und Ausland hat Wassermann gesammelt, um sie Ministerpräsidentin Heide Simonis zu übergeben. Ändern wird das freilich nicht mehr viel. Die Ausschreibung für die neue Stelle ist bereits veröffentlicht. MALTE KREUTZFELDT
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