: Selbst gehäkelte Wesen lernen laufen
Liebe Ungeborene, aufgepasst! Nicht alle eure potenziellen ErzeugerInnen mögen die Teletubbies. Moloko, der anspruchsvolle englische Pop-Entwurf für die nachwachsende Elterngeneration, näht seine Niedlichkeiten mit eingebautem Loser-Charme lieber selbst
von HOLGER IN’T VELD
Roisin Murphy bemüht einen betont dümmlichen Gesichtsausdruck. „Lala“, quäkt sie, eine Aussage, die bei aller Kürze einiges beinhaltet. Vor allem Ekel. Das gleichnamige sprachgestörte Säuglings-Idol ist dabei nur die Metapher ihres aggressiven Spotts, eigentliches Ziel sind jene Erwachsenen, die den pastellfarbenen Niedlichkeitsfaschismus produktiv stärken. Murphy ist die singende Hälfte einer Pop-Partnerschaft namens Moloko, die seit sechs Jahren und auch mit ihrer aktuellen Veröffentlichung „Things To Make And Do“ gegen eine Kategorisierung kämpft, die sich aus Bandzusammensetzung und Wahl der Mittel ergibt. Die populäre Gleichung heißt: weibliche Stimme (Melodie, Körper) und männliche Produktion (Rhythmus und Maschine) = Soundtrack für flexekutive Hetero-Partnerschaften und urbanes Modern Living. Um nicht zu sagen: „TripHop“.
Soundtrack für flexekutive Hetero-Partnerschaften
Dabei haben Murphy und Mark Brydon, ihr Partner in Leben und Musik, von Anfang an wenig getan, um dem Klischee zu entsprechen. Ihr Bandname bedeutet im Russischen Milch, ist aber auch einem Getränk aus „Clockwork Orange“ entliehen, musikalisch ist die einzige Parallele zur omnipräsenten Soundtrack-Beliebigkeit, dass auch sie sich in einem Koordinatensystem aus Jazz, Funk, HipHop und House bewegen. So wie Kenny G, Tina Turner, Puff Daddy, DJ Bobo auf der einen und Charles Mingus, George Clinton, Public Enemy, Daft Punk auf der anderen Seite auch. Molokos Herz – wer hätte es gedacht – schlägt eher für die Letzteren.
Aber auch solch geistesverwandte Verweise reichen bei weitem nicht aus, um eine Musik zu fassen, die an der Progression von Sound und Struktur gleichermaßen arbeitet. Akustischer House und abstrakter Funk, Brecht/Weill und Fusion Rock, Elektro, Gospel und Chanson mit- und gegeneinander, Informationsdichte, Brüche, Disharmonien. Dass die Oberfläche dieser wuseligen Vielfalt trotzdem als Pop funktioniert, liegt wesentlich an Murphys Stimme, die mit einem erstaunlichen Oktavspektrum zwischen Gretel und der bösen Hexe hin und her springt, gleichzeitig verängstigt und umgarnt. „Wir sind keine Freunde eines warmen Klangbads“, definiert Brydon das Offensichtliche – negativ natürlich.
Da musikalische Kanten für die identifikatorische Befreiung aber nicht zu reichen scheinen, kultiviert das Duo gelebte und verbale Abgrenzung gegen Geschmäcklerei und Gemütlichkeit. Sie leben in Sheffield, der ehrlich-arbeitenden Opposition zu Chi-Chi-London, jener Brutstätte der Coffeetable-Zeitschriften, die ihrer erwachsenen LeserInnenschaft Lebensdesign-Modelle samt Audio-Interieur verkaufen. Auch Roisin nähert sich der 30. Trotzdem trägt sie die einstmals roten Haare blond und lebt, wie auch ihr nochmals zehn Jahre älterer Arbeits- und Lebensgefährte, für die Nacht und den korrekten House-Kick.
Vorher und hinterher wird ausgeteilt. Mit zitronesken Mundwinkeln und ohne Rücksicht auf Verluste disqualifiziert das Paar Gebrauchsmusik (Macy Gray: klingt wie Rod Stewart), Underground-HipHop (spaß- und körperfeindlich), Drum ’n’ Bass (lächerlich). Und bitte: Verschont uns mit Club-Jazz. Bestand hat in der musikalischen Gegenwart lediglich der große Samstagabend im Zeichen von Schweiß und Hysterie. Dabei war es erst ein Remix, der Moloko nach fünf Jahren das Tor zum House-Hedonismus öffnete und ihrer Kritik eine Position der Stärke gab. Boris Dlugoschs gradlinige Überarbeitung von „Sing It Back“ hat sie aus der geschmäckelnden Beliebigkeit der Portisheads und Sneaker Pimps befreit. Plötzlich war alles sonnenklar und ein Weg gefunden, trotz splitterndem Avant-Pop zu überleben. „Dies ist unser Spektrum“, spricht Murphy und streckt ihre Arme über die Breite der Tischkante. „Die Hits sind ganz außen, aber damit ziehen wir die Leute hinein.“ Ein Stück Dance-Pop verkauft fünfzig Minuten zerbrochenes Geschirr.
Pop hat eine Aufgabe: Das trojanische Pferd machen
Um das neue trojanische Pferd „Things To Make And Do“ zu lancieren, werden Eintrittskarten im Singleformat ausgegeben: „The Time Is Now“ hat bereits in der Woche der Veröffentlichung die Spitze der britischen Charts erstürmt. Das Modell „80er, Experiment und Identität in Pop“ funktioniert: „Grace Jones, Talking Heads, so etwas streben wir an.“ Dafür nimmt man in Kauf, sich ab und an auf einer fernsehbeworbenen Dance-Compilation wieder zu finden. Und auch das Gesangsduett mit der eben noch in den Schmutz gezogenen Macy Gray im Wembley Stadium macht jetzt, wo die eigene Position stark ist, pragmatischen Sinn.
Viel lieber als im Charts-Umfeld sieht sich das Duo aber an unkorrumpierte Größen angedockt, ihr liebstes Beispiel ist darum ein gemeinsamer Auftritt mit Funkadelic, und beim Bericht der abschließenden, anerkennenden Umarmung von George Clinton leuchten ihre Augen zum ersten Mal. Authentizität, Musikalität, Freak – da wollen Sie hin. Das an anderen Werten interessierte Mega-Hits-Publikum kommt entweder zu ihnen oder eben nicht. Das gilt insbesondere auch für die nachwachsende Generation, eine Altersgruppe, der Moloko schon per CD-Verpackung schwer verdauliche Distinktionsgewinne bietet. Ihre „verlockende“ Alternative zu den Teletubbies sind krude, krumme, selbst gehäkelte Wesen mit eingebautem Loser-Charme, ein abgründiger Charakter für jedes schräge Stück. „Und keines von ihnen sagt ‚Lala‘ “, versichert Murphy.
Moloko: „Things To Make And Do“ (Roadrunner/Edel) Tour: 15. 5. Berlin, 16. 5. München, 31. 5. Köln, 1. 6. Lahr
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