Aufstand der alten Garde

Die spanische Tennisspielerin Conchita Martinez gewinnt durch ein 6:1, 6:2 gegen Amanda Coetzer die German Open, nachdem sie zuvor Martina Hingis bezwungen hatte

aus Berlin MATTI LIESKE

Seit sie einer gewissen Steffi Graf mehrfach übel zusetzte und ihr 1997 in Berlin sogar mit 6:0, 6:1 die drastischste Niederlage ihrer Karriere verpasste, hängt Amanda Coetzer der Beiname „kleine Mörderin“ oder gar „kleine Riesenmörderin“ an. Riesen sind im Vergleich zu der 29-jährigen Südafrikanerin die meisten anderen, mit 1,58 m ist Coetzer eines der kleinsten Wesen auf der Tennistour. Ohne Zweifel ein Nachteil, doch wie Amanda Coetzer, die Kierkegaard liest, in den Townships Tennisprogramme betreibt und als Hobby ominöserweise „bartending“ angibt, einmal sagte: „Wenn man großartig spielen kann, gibt es eine Chance für alle Formen und Größen.“

Keine Chance hatte Coetzer jedoch gestern im Finale der Berliner German Open, in dem sie Conchita Martinez mit 1:6, 2:6 unterlag. Die Spanierin gewann zwar 1994 sogar einmal in Wimbledon, doch, wie bei Coetzer, kommen ihre Stärken am wirkungsvollsten auf dem langsamen Sandbelag zur Geltung. Das bekam im Halbfinale am Samstag auch die Schweizerin Martina Hingis zu spüren, die nach dem 5:7, 4:6 sichtlich froh war, nicht mehr nach den perfiden Topspins und ausgefeilten Slice-Bällen der Spanierin rennen zu müssen. „Das ist sehr anstrengend“, verriet die 19-Jährige, am Ende sei sie müde gewesen, und morgen sei ja schon ein neues Turnier. Das in Rom nämlich, welches zunächst erheblich besser besetzt schien als die German Open. Gestern sagten jedoch nach Anna Kurnikowa erst Hingis und dann auch Martinez für Rom ab.

Die Berliner Veranstalter waren dennoch die Dummen in der Konkurrenz der drei Sandplatzturniere von Hamburg, Berlin und Rom, ein Mammutprogramm, das sich die Topleute nur ungern zumuten. So kamen Davenport, Pierce, Seles oder die Williams-Schwestern gar nicht nach Berlin, andere wie Tauziat, Mauresmo, Sanchez-Vicario oder Kurnikowa fielen nicht gerade durch Kampfgeist auf und schieden früh aus. Von den jüngeren Talenten machte nur die Russin Jelena Dementjewa (18) auf sich aufmerksam, die Wimbledon-Halbfinalistin Alexandra Stevenson hingegen war mit ihrem Angriffstennis ohne Chance im Reich der Sandplatzwühlerinnen.

Ein wenig taktische Finesse mit eingestreuten Netzangriffen und variablem Schlagrepertoire lieferte nur Martina Hingis, ohne jedoch das ob ihrer tränenreichen Tiraden im letzten French-Open-Finale feindselig gesinnte Publikum versöhnen zu können. Die jubelten im Halbfinale emsig der spröden Martinez zu, die sonst nicht gerade zu den Publikumslieblingen zählt und die Zuneigung der 6.000 sichtlich genoss. „Das Match heute hat mir gezeigt, dass ich in der Lage bin, auch wieder ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen“, probt die Spanierin, ebenso wie Coetzer im letzten Jahre aus den Top Ten gerutscht, den Aufstand der alten Garde. Dass sie dabei auf die Komplizenschaft der kleinen Riesenbeseitigerin aus Südafrika zählen kann, hat nach Hamburg, wo Coetzer Venus Williams bezwang, auch Berlin gezeigt, selbst wenn sie dort gestern auf gänzlich verlorenem Posten stand.