: Zwischen Betontribüne und Löwenzahn
■ An diesem Wochenende findet der allerletzte Spieltag der viergeteilten Regionalliga statt
Egidius Braun meinte es seinerzeit gut. „Ein Kind ist geboren“, frohlockte der DFB-Präsident gefühlstief, als vor sechs Jahren die in vier Staffeln eingeteilte dritte Liga als Unterbau des Profikicks Einzug hielt. Die neue Spielklasse wurde als Reminiszenz an vergangene Tage kurzerhand Regionalliga genannt. Bereits von 1963 bis 1974 hatten die DFB-Gewaltigen in einer gleichnamigen Liga, damals nach der Bundesliga das zweithöchste Niveau, Tore schießen und pressschlagen lassen. Der von Braun so gepriesene „Nachwuchs“ lernte in der Folgezeit allerdings nie, aufrecht zu gehen. Bereits vor ihrer Einführung im Jahr 1994 sorgte die fehlende Klarheit in Finanzierungsfragen für Sorgenfalten bei den Vereinen. Die Neuerung wurde dennoch mit der Spielzeit 94/95 wirksam. Die so genannten „Halbprofis“ waren geboren.
Denn mindestens zwölf Vertragsamateure waren nach DFB-Spielordnung im Kader Pflicht. Im ersten Jahr waren mit dem SV Lurup, VfL 93, SC Concordia sowie den Amateuren des HSV vier Hamburger Vereine drittklassig. In der darauf folgenden Saison kamen mit der Amateur-Mannschaft des FC St. Pauli und dem 1. SC Norderstedt zwei weitere Vertreter hinzu. Doch fortan zeigte die Regionalliga, wie weit die sportliche Lücke innerhalb einer Spielklasse auseinanderklaffen kann.
Die Prämisse „Geld macht keine Tore“ wurde eindrucksvoll widergelegt. Die Liga entwickelte sich zum Paradebeispiel dafür, dass Erfolg doch kaufbar ist. Sie lockte verstärkt Baulöwen, Börsenmakler oder Filmverleiher in ihren Dunstkreis. Vereine wie Tennis Borussia Berlin aus dem Nordosten oder das traditionsreiche Hannover 96 verfügten über zum Teil zweistellige Millionenbudgets. Dementsprechend setzten sich die Kader zu großen Teilen aus ehemaligen Profis zusammen.
Moderne Tribünendächer hier, löwenzahnbewachsene Ränge dort. Routinierte Ballarbeiter gegen aufgeregte ABC-Schützen. Ergebnisse wie ein 9:1 oder 10:0 wunderten fortan niemanden mehr. Und auch die Vermarkter und TV-Stationen wurden auf die Semiprofessionellen aufmerksam. Die überraschend guten Quoten bei den Aufstiegsspielen zwischen Energie Cottbus und Hannover zum Ende der Saison 96/97 hatten den NDR bewogen, ab der Spielzeit 97/98 auch Regionalliga-Begegnungen der Nordstaffel live im dritten Programm zu senden. In Vorfreude auf die TV-Penunzen begann das kollektive Händereiben. 100.000 Mark pro Spielzeit wurden ab sofort jedem Verein zuteil. Über vielen Vereinen kreiste dennoch schon sehr bald der Pleitegeier. Der pekuniäre Drahtseilakt, den Clubs wie Altona 93 oder VfL 93 Hamburg wagten, um ihren Teams mit aller Macht den Klassenverbleib zu sichern, endete im Absturz. So muss-ten beide ihr Engagement aus finanziellen Gründen beenden.
Eine erneute Umstrukturierung wurde unumgänglich. Für die neue Serie 2000/2001 wird daher durchgesiebt: Von 72 Regionalligisten müssen 36 zwangsabsteigen, davon alleine zwölf Teams aus dem Norden. Die Amateure des FC St. Pauli und HSV wie auch der 1. SC Norderstedt spielen im nächsten Jahr in der Oberliga. In der zukünftig zweigleisigen dritten Liga muss sich jeder Club einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterziehen, um die Lizenz zu erhalten. Mit anderen Worten: Die Regionalliga wird ausschließlich Vereinen mit durchweg professionellen Strukturen vorbehalten sein. Dem provinziellen Rest bleibt indes nur die Angst, ins tiefe Loch der Bedeutungslosigkeit zu fallen.
Oliver Lück
Der letzte Spieltag: HSV (A) – Werder Bremen (A) (heute, 19.00 Uhr), Arminia Hannover – FC St. Pauli (A), 1. SC Norderstedt – BV Cloppenburg und FC Bremerhaven – VfB Lübeck (alle morgen, 14 Uhr)
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