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Mit dem Rotor hart am Wind

Ein Husumer Unternehmer will vor Helgoland den größten Offshore-Windpark der Welt in die Nordsee stellen. Denn Windkraft ist eine boomende Branche und die große Hoffnung für die strukturschwache schleswig-holsteinische Westküste  ■ Von Gernot Knödler

Über das Gelände der ehemaligen Husumer Schiffswerft heult der Westwind und untermalt die großen Pläne von Hans-Henning Jacobs. Der Geschäftsführer der gleichnamigen Windkraft-Firma erläutert, warum er der Werft den blauen 50-Tonnen-Hafenkran draußen vor der Tür abgekauft hat: „Jacobs Energie“ will auf dem Gelände die größte Windkraftanlage (WKA) der Welt bauen. Fünf Megawatt stark, anderthalb sind zur Zeit das höchste der Gefühle.

Gut 100 solcher Anlagen will Jacobs zusammen mit den Firmen DeWind und Winkra nordöstlich von Helgoland ins Meer setzen. Mit dem größten Offshore-Windpark der Welt würde Schleswig-Holstein seinem selbst gesteckten Ziel, 2010 ein Viertel seines Strombedarfs aus der Windkraft zu decken, einen Riesenschritt näher kommen. Zur Zeit erzeugt das Bundesland mit 856 Megawatt installierter Windstrom-Leistung rund elf Prozent seines Strombedarfs, vor zehn Jahren waren es ganze 0,036 Prozent. Im Stadtstaat Hamburg drehten sich Ende des vergangenen Jahres 39 Windräder mit zusammen 18,4 Megawatt installierter Leistung.

Die Windkraft und mit ihr Hersteller wie Jacobs Energie boomen. Im Februar 1999 hatte der Ableger eines mittelständischen Elektromaschinen-Bauers aus Heide schlappe 22 MitarbeiterInnen. Jetzt sind es 82. Sechs weitere fangen am 1. Juni bei der Firma an. Der Umsatz stieg von 1998 bis 1999 um über 300 Prozent: von neun auf 40 Millionen Mark.

Hans-Henning Jacobs spricht von der „enormen Chance“, die die Windenergie der Westküste besonders hier in Schleswig-Holstein geboten habe. Vom Steuergeld, das der Kreis einschieben konnte und von dem, was die privaten Windmüller aus ihren Profiten im Kreis reinvestieren können. Acht bis zehn Jahre müsse eine Windkraftanlage an der Westküste laufen, bis sie sich refinanziert habe und Ertrag abwerfe. Die für ihren Bau benötigte Energie hat sie bereits in einem Jahr erzeugt.

Draußen vor dem blauen Kran bei der Werkhalle liegt aufgebockt ein Masten- oder besser: Turm-Segment für ein Windrad. Drei davon werden mit hunderten von fingerdicken Schrauben aneinander geflanscht, bis sie bei der neuesten Jacobs-Anlage eine Höhe von 65 Metern erreichen. Der Prototyp der neuen Anlage steht hundert Kilometer weiter südlich an der Elbmündung im Kaiser-Wilhelm-Koog. Zwischen saftig grünen Getreidefeldern liegen weit verstreut Gehöfte und winzige Wohnsiedlungen, sie alle in einem Wald aus Masten mit langsam rotierenden Windrädern.

Der Koog bei Marne ist der erste Windpark Deutschlands. Hier stand der einflügelige „Growian“, mit dem das Bundesforschungsministerium aus dem Stand drei Megawatt installierte Leistung erreichen wollte. Auf seinem Fundament ruhen heute Gondel und Rotor eines Demo-Windrades der Schleswag, das die Besucher der Expo für die neue Energiequelle begeistern soll.

„Growian“ war ein Fehlschlag. „Ich kann einen Führerschein-Neuling auch nicht gleich in einen Ferrari setzen“, sagt Jacobs. Mit ganz kleinen Anlagen hätten die Deutschen wieder von vorne anfangen müssen, während die Dänen bereits munter exportierten. Doch jetzt ist alles wieder gut. „Seit vier Jahren behaupten wir uns an der Weltspitze mit den Dänen“, sagt Jacobs stolz. Sogar seine eigene kleine Firma exportiert wüsten- und taifun-taugliche Ware bis nach China und Japan. Drei Monate lang sei der Prototyp im Kaiser-Wilhelm-Koog sogar die größte Windkraftanlage der Welt gewesen.

So riesengroß wirkt die „MD 70“ von unten gar nicht, jedenfalls nicht so groß, als könnten zehn Menschen in der Gondel hinter dem Rotor Platz finden. Andererseits können sich sogar im Fuß des Mastes mehrere Leute gleichzeitig weiße Overalls überstreifen. Sie sehen damit aus, als besuchten sie ein AKW, sollen sich aber bloß nicht die Klamotten versauen, an Schmieröl oder dem Abrieb der zierlichen Alu-Leiter, die 65 Meter senkrecht nach oben in die Gondel führt.

Der Aufstieg erfordert etwas Kondition, aber keine Schwindelfreiheit, denn der enge Turm wird durch vier Plattformen unterteilt und lässt keinen Blick nach draußen zu. Über der dritten Plattform hängt ein Bündel bratwurstdicker schwarzer Kabel, die den Windstrom in eine Leitungsschiene nach unten überführen. Auf der vierten Plattform klinkt sich der Kletterer aus und steigt in die leicht schwankende Gondel. Ihr Herzstück ist blau: Die Propellerwelle führt in ein Getriebe, dahinter sitzen die Bremsen und ein Generator, darüber ein Wasserkühler, hinter dem ein großer Abluft-Schlauch ins Freie führt.

Vor der Bremse kauert im Blaumann Ulrich Schiefelbein vor einem Laptop. Der Ingenieur kommt von der Rendsburger Firma, die den MD 70 konstruiert hat. Am Prototypen probiert er aus, wie schnell sich der Anstellwinkel der Rotorblätter maximal verändern darf, ohne dass das Windrad instabil wird. Solange bis die Anlage bei 1800 Generator-Umdrehungen pro Minute ihre Nennleistung erreicht hat, bleiben die Rotorblätter starr im Wind. Danach werden sie mit kleinen Elektromotoren herausgedreht, bis die Drehzahl wieder stimmt. Weht der Wind gar zu schnell, greift irgendwann die Bremse und stoppt die Anlage. Denn, was Jacobs gar nicht gerne in der Zeitung liest: So ein Windrad kann außer Kontrolle geraten. „Da hat es schon schlimme Unfälle gegeben“, gibt der Firmenchef zu. Zum Beispiel bei einer Anlage, deren Propeller sich irgendwann viermal so schnell drehte als er sollte, weshalb sich seine Rotorblätter selbstständig machten. „Aber das war eine Anlage von Tausenden“, wehrt Jacobs ab.

Solange sich Besucher in der Gondel aufhalten, steht der Propeller der MD 70. Dem Blick vom Gondeldach aus entzieht sich das linke, waagerechte Rotorblatt mit dem eleganten Schwung eines Vogelflügels. Es wippt leicht und verursacht Schwindel. Am Erdboden onduliert der Wind die Felder. Im Südwesten das Watt, die Elbmündung, der Fernsehturm von Cuxhaven und Hamburgs Außenposten Neuwerk am Horizont.

Die Menschen hier hätten sich nie ernsthaft gegen die vielen Windräder gewehrt, erzählt eine Redakteurin der Dithmarscher Landeszeitung. Die Gemeinderäte produzierten selbst Windstrom, da sei kein Widerstand zu erwarten gewesen. „Ich würd mir selbst kein Haus hier kaufen“, sagt Sorka Eixmann. Sie hätte keine Lust, von der Terrasse aus dauernd stumpfsinnig rotierende Flügel zu sehen. Den Bauern mache das offenbar nichts aus. „Bauern sitzen ja nicht auf der Terrasse, die arbeiten ja.“

Doch selbst der Unternehmer Jacobs sieht ein, dass Schleswig-Holsteins Westküste bald mit Windrädern gesättigt sein dürfte. „Die Landschaft ist zweifellos durch eine Windkraftanlage belas-tet“, gibt er zu. Umso mehr setzt er auf Offshore-Projekte, die von Naturschützern allerdings kritisch beobachtet werden. Denn bisher gibt es keine Erfahrungen, wie die elektromagnetischen Felder der Anlagen auf die Meeresumwelt wirken, wie sehr ein Windpark von fünf mal zehn Kilometern Kantenlänge als Barriere wirken könnte oder ob der Schall und die Schwingungen der Windräder den Meeresorganismen schaden.

Jacobs jedenfalls gibt sich optimistisch. Spätestens 2006 will er loslegen.

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