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Der Igel bleibt in der Tasche

Sollte Bayer Leverkusen heute Deutscher Meister werden, stellt dies einen weiteren Imagegewinn für den geldgebenden Chemiekonzern dar, der Investitionen dennoch scheut

aus Leverkusen PHILIPP MIMKES

Selbst altlinke Kapitalismuskritiker freuen sich, wenn Leverkusen heute den Millionarios aus München die Meisterschale abjagt. Denn die Werbestrategen haben ihr Ziel erreicht: Galt Bayer 04 Leverkusen früher als steriler Retortenclub, so steht der Verein heute für modernen und erfolgreichen Fußball. Die regelmäßigen Transfers brasilianischer Ballartisten brachten die Spielkultur, und mit Christoph Daum und dem Macher Reiner Calmund besitzt die Werkself eine charismatische Führung. Der Sympathieträger Rudi Völler als Sportlicher Direktor rundet das Bild vom gewachsenen Verein ab.

Dabei forciert kaum ein zweiter Verein in Deutschland die Kommerzialisierung des Fußballs so wie Bayer 04. Die Mannschaft kickt seit der Umwandlung des Vereins in eine GmbH „zum Zweck des Einsatzes als Werbeträger für die Bayer AG“. So steht es in dem entsprechenden Eintrag im Handelsregister – die Degradierung des Sports zum Imagefaktor könnte man brutaler kaum in Worte fassen. Für die Umwandlung des Vereins in eine Kapitalgesellschaft mussten 1998 eigens die DFB-Statuten geändert werden. Die Bayer AG hält seitdem hundert Prozent der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH und spart nebenbei Steuern in Millionenhöhe. Die vollständige Übernahme war selbst nach den neuen Regeln des DFB eigentlich nicht erlaubt – Leverkusens Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser setzte jedoch eine Lex Bayer durch. Holzhäuser kennt die Strukturen des größten Sportfachverbands der Welt: Vor seinem Engagement in Leverkusen war er Ligasekretär des DFB.

Für den Sportbeauftragten der Bayer AG, Meinolf Sprink, haben sich die Investitionen in das Team werbetechnisch voll ausgezahlt: Den Verkauf der Bundesligarechte in über 100 Länder kann der Konzern dank des weltweiten Engagements „viel flächendeckender nutzen als jeder andere Bundesligist“. Eine Umfrage ergab, dass 36 Prozent der Bevölkerung die Verbindung zwischen dem Chemiemulti und dem Verein kennen. Angenehmer Nebeneffekt: Kritische Berichterstattung, etwa zu Störfällen oder Risiken von Pestiziden, wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Mit den Worten der Leverkusener Werbestrategen: „Der fachliche Respekt vor dem Großunternehmen ist hoch, aber die Sympathie-Punkte sind niedrig. Das Sponsoring mit Fußball passt perfekt auf die Schwachpunkte des Images und verbessert es.“ Der Ertrag kann aber auch in nüchternen Zahlen ausgedrückt werden. Nach einem Schlüssel, der 10 Prozent einer Fußball-Übertragung als Werbezeit ansieht, erkicken die Fußballer allein in Deutschland eine jährliche TV-Präsenz im Wert von 60 Millionen Mark.

Damit wie im normalen Geschäftsleben die Großen immer größer und die Kleinen immer kleiner werden können, wollen die Leverkusener im Schulterschluss mit Bayern München langfristig aus dem „Zentralvermarktungssozialismus“ (Uli Hoeneß) des DFB aussteigen und selbst mit den TV-Sendern über Fernsehrechte verhandeln. Auch die Gründung eines eigenen Fernsehkanals hat Holzhäuser im Auge. Schon bei den kürzlich geschlossenen Verträgen werden die Interessen der Topvereine stärker als früher gewichtet: 300 der jährlich 600 Millionen Mark TV-Einnahmen werden nicht mehr auf alle Bundesligisten aufgeteilt, sondern nach Tabellenstand ausgezahlt. Absender des Geldregens: die Agentur ISPR des Medienmoguls Leo Kirch.

Trotz der sportlichen Erfolge wird in Leverkusen über Geld gestritten, denn der Mutterkonzern hat laut Christoph Daum „Igel in der Tasche“ und will die Unterstützung für die wandelnden Litfaßsäulen nicht substanziell aufstocken. Trainer und Manager möchten national zu Bayern München aufschließen und langfristig einen internationalen Spitzenplatz erreichen: „Wir sehen uns im Wettbewerb mit Clubs wie Juventus Turin und Real Madrid.“ Für diese Ziele wären große Investitionen notwendig, zumal Mittelfeldstar Emerson das Team wohl definitiv gen Rom verlässt.

Den Verantwortlichen im Konzern ist der sportliche Aspekt jedoch letztlich gleichgültig. Selbst die Frage der Meisterschaft ist zweitrangig. Wichtig ist das Erreichen des zweiten Platzes, der die Teilnahme an der lukrativen und werbewirksamen Champions League garantiert. Fußball ist schließlich nur eine Komponente im „Marketing-Mix“ des Konzerns, in dem sich nebenbei die weltweit größten Sportereignisse befinden: die Olympischen Spiele und die Fußballweltmeisterschaft. In Zusammenarbeit mit dem Nationalen Olympischen Komitee richtet Bayer an Bord der „MS Deutschland“ einen meeting point für Journalisten, Wirtschaftsvertreter und Athleten ein, um „der australischen Öffentlichkeit die traditionelle Sportkompetenz von Bayer auf attraktive Weise näher zu bringen“. Das Kreuzfahrtschiff ist offizielles Gästeschiff des NOK und wird während der gesamten Spiele im Hafen von Sydney liegen.

Auch die Bewerbung des DFB um die Austragung der WM 2006 wird von Bayer gefördert, denn das Unternehmen hofft auf werbewirksame Spiele in der Leverkusener BayArena. Zwar entspricht das Platzangebot des Stadions nicht den Anforderungen der Fifa, aber das wird sich auf dem kleinen Dienstweg dann schon regeln lassen.

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