: Mentalitäts- statt Gesetzesfrage
betr.: „Täglich 100 Tote durch Schusswaffengebrauch“, taz vom 13. 5. 00
Dass die Liberalität oder Restriktivität der jeweiligen Waffengesetzgebung einen wesentlichen Einfluss auf das Ausmaß der bewaffneten Kriminalität in einem Land hat, kann getrost in das Reich der Fabel verwiesen werden.
Anderenfalls müsste die Schweiz (jeder männliche Wehrbürger ist verpflichtet, sein Schnellfeuergewehr samt Bereitschaftsmunition zu Hause aufzubewahren, und Schusswaffen sind für Einheimische sehr leicht zu erwerben) die höchste Schusswaffenkriminalitätsrate der Welt haben. Tatsächlich sind Schusswaffendelikte dort ausgesprochen selten. In Belgien oder Italien, wo Waffen viel leichter zu kaufen sind als in Deutschland, ist die Gewaltkriminalität nicht höher oder niedriger als in Deutschland, dafür aber hat ausgerechnet Großbritannien, das Land mit den strengsten Waffengesetzen Europas, auch die höchste Quote an Schusswaffendelikten (was dem Nordirland-Konflikt zu verdanken ist, dessen Waffen- und Munitionsnachschub die englischen Gesetze offensichtlich nicht unterbinden können) ...
Waffen und Munition waren in Deutschland übrigens bis 1919 völlig frei verkäuflich, was bekanntlich weder zu besonders viel Mord und Totschlag führte noch zum bewaffneten Aufstand des Proletariats. Reglementiert wurde der Waffenbesitz erst in der Weimarer Republik und dann massiv von den Nationalsozialisten.
Man sieht: Das Problem ist eher eine Mentalitäts- als eine Gesetzesfrage, da allerdings haben die Amerikaner offenkundig einige Probleme. Im Übrigen bleibt die Frage unbeantwortet: Mit welchem Recht entwaffnet ein Staat seine friedlichen Bürger, solange er es nicht verhindern kann, dass sich unfriedliche (sprich: kriminelle) Bürger bewaffnen? TOM ROHWER, Neumünster
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen