piwik no script img

Im Westjordanland tobt der Zorn

Demonstranten fordern die Freilassung von noch immer in israelischen Gefängnissen einsitzenden palästinensischen „Sicherheitshäftlingen“. Regierungschef Barak verschiebt wegen der Proteste eine geplante Reise nach Washington

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Die Stadt Jericho bleibt „bis auf weiteres“ für den Tourismus geschlossen. Mit dieser Anordnung reagierte Israels Premierminister gestern auf den Angriff auf einen israelischen Privatwagen. Palästinensische Demonstranten hatten einen Molotowcocktail in das Fahrzeug geworfen und einem zweijährigen Mädchen schwerste Verbrennung zugeführt. Die blutigen Unruhen an verschiedenen Orten im Westjordanland und im Gaza-Streifen forderten am Wochenende erneut ein Todesopfer auf palästinensischer Seite und viele zum Teil schwer Verletzte unter Demonstranten und israelischen Militärs. Angesichts der angespannten Situation auch an der Nordgrenze Israels, wo sich israelische Militärs und Hisbullah-Guerillas gegenüberstehen, entschied Barak, seine für diese Woche geplante USA-Reise zu verschieben.

Im Anschluss an die gestern einberufene Kabinettssitzung forderte der israelische Premier „sofortige Reaktionen“ von Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Die Autonomiebehörde müsse ihre „Aktionsrichtung ändern“, hieß es. Barak forderte zudem die Entwaffnung der Fatah-Volksbewegung, die, so räumte der Fatah-Chef im Westjordanland, Marwan Barghouti, selbst ein, für die Schüsse auf israelische Soldaten verantwortlich sind.

Grund für die fortgesetzten Unruhen sind zum einen die vielen Opfer,die seit dem 15. Mai, dem Jahrestag „der palästinensischen Katastrophe“, also der Staatsgründung Israels, verletzt und getötet worden sind und die die Palästinenser am Wochende zwei „Tage des Zorns“ ausrufen ließen, zum anderen die Solidarität mit den noch immer in israelischen Gefängnissen inhaftierten palästinensischen „Sicherheitsgefangenen“. Seit Beginn des Monats befinden sich die Häftlinge im Hungerstreik. Sie protestieren gegen die sich verschlimmernden Zustände in den Anstalten und fordern die Freilassung der politischen Gefangenen. Vor allem die vor den Osloer Verträgen verhafteten Palästinenser gelten bei ihren Landsleuten als Märtyrer, zu deren Entlassung sich Israel in verschiedenen Abkommen wiederholt verpflichtet hat. Hischam Abd al-Rasek, zuständiger palästinensischer Minister für die Häftlingsfrage, erklärte, dass man „unmöglich eine Einigung über den Rahmenplan erreichen kann, solange es politische Häftlinge gibt“.

Auch das palästinensische Kabinett machte Israel für die Unruhen verantwortlich, die „bis zur Häftlingsentlassung andauern werden“, wie es in einer offiziellen Mitteilung an die Öffentlichkeit heißt. „Die Nachricht, die mit dem Blut unserer Kinder, unseres Volkes und unserer Häftlinge geschrieben ist“, so fügte Kabinettsgeneralsekretär Achmad Abd al-Rahman mit, heißt: „Ihr müsst die Rechte des palästinensischen Volkes anerkennen und die Gefangenen entlassen.“ Abd al-Rahman räumte ein, dass die israelische Entscheidung des Transfers der Jerusalemer Vororte Abu Dis, Asarija und Sawahra in die Hände der palästinensischen Autonomiebehörden „ein Schritt in die richtige Richtung ist“, der indes lange überfällig sei. Infolge der Unruhen setzte Barak jedoch die für gestern geplante Übergabe der drei Dörfer erneut für unbestimmte Zeit aus.

Die palästinensische Forderung auf sofortige Freilassung aller Gefangenen ist insofern illusorisch, da über die Hälfte der in Israel Inhaftierten nicht als politische Häftlinge, sondern als normale Strafgefangene gelten. Die Mehrheit der verbliebenen Palästinenser entspricht zudem nicht den einst in Oslo und in Wye-Plantation vereinbarten Kriterien für eine Amnestie. Umgekehrt ist die israelische Forderung an die Palästinenser, die Aktivisten der von Arafat geführten Fatah zu entwaffnen, derzeit kaum durchzusetzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen