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: Das Wirtschaftsmagazin für den Popdiskurs: „brand eins“

DIE WELLE REITEN

Der entscheidende Satz kommt recht früh im Text und muss für Leute, die erst als Investoren zu Lesern wurden, eine Zumutung sein: „Nein, nein, wir wollen nicht an die Börse. Keine Aktien. Warum auch? Wir ziehen das alleine durch.“ Das sagt einer der beiden Holzverflüssiger, die Christian Litz im Maiheft von brand eins porträtiert. Lohnt es sich, über Unternehmer zu lesen, die keine Aktien ausgeben?! Was hat man davon?

Ja, brand eins wurde von ihrer Redaktionsmannschaft pünktlich auf die neue große Welle der Wirtschaftsberichterstattung gestellt. Die Wucht des Zeitgeists soll sie auf deren Kamm tragen, doch dann will die Redaktion die Welle reiten. Es darf ruhig schick sein, die Zeitschrift im Aktenkoffer stecken zu haben, aber jenseits des Hypes muss man Käufer finden, deren Interesse an Ökonomie weiter reicht als bis zur Frage nach den neuesten Aktienemissionen. Denn um die geht es bei brand eins nicht. Sondern um den gut geschriebenen Artikel, der zum Beispiel von Jürgen Pfitzer und Helmut Nägele handelt, einem Maschinenbauer und einem Chemiker, die ein Patent auf die Verflüssigung von Holz angemeldet haben. Es erlaubt, Holz wie Plastik zu gießen und zu spritzen. Beide Männer arbeiten hauptberuflich am Fraunhofer-Institut in Pfinztal bei Karlsruhe. Vor zehn Jahren gab es dort die Direktive, von der Militär- zur Zivilforschung zu konvergieren und zu schrumpfen. Der Wechsel fand statt, doch anstatt sich zu verkleinern, wuchs das Institut von 190 auf 300 Mitarbeiter. Findige Leute, wie eben die Holzverflüssiger.

Analog zum Titel dieser Geschichte versteht sich brand eins als ein Versuch „Wider die Natur“ der neuen oder neu relaunchten Wirtschaftspresse. Den Eindruck vermittelt nicht nur eine erste Durchsicht des Hefts; das zeigt auch der langwierige Kampf von Gabriele Fischer, ihr Konzept einer neuen Wirtschaftszeitschrift am Leben zu halten. Erst hieß ihr Projekt nämlich Econy und war beim Spiegel-Verlag beheimatet. Der freilich setzte Fischer und ihre Redaktion nach zwei hoch gelobten, doch unrentablen Heften gleich wieder an die Luft. Der flugs aufgetriebene Mainzer VFW Verlag war leider auch nur am Kauf des Econy-Titels interessiert, wie sich herausstellte, als er sich wenig später von der Redaktion trennte. Doch die gab nicht auf, fand neue Geldgeber, die 18 Monate stillhalten wollen, und nannte ihr Projekt nun brand eins. (Econy wurde jetzt Anfang Mai eingestellt.)

Sieben Hefte des Markenprodukts Nummer eins sind bislang herausgekommen, und es sieht so aus, dass brand eins für Kultur und Politik der neuen Ökonomie sein will, was der Rolling Stone in seiner Anfangszeit in den 60er-Jahren einmal für die Popkultur war. Also ist brand eins altmodisch hoch ambitioniert, bringt die etwas anderen Interviews und Erfolsstorys, setzt auf Reportagen und kommt ohne Hitparade, hier also ohne Börsendaten, und erst recht ohne die sonst so beliebten geldwerten Informationen und Serviceleistungen aus. Wirtschaft goes Pop heißt lange Lesestrecken und die neue Ökonomie eher anhand individueller Fallbeispiele als genereller Untersuchungen zu analysieren. Der Leser sollte dann an einem Interview mit drei Geisteswissenschaftlern Gefallen finden können, die als Unternehmensberater die Erzählungen von Angestellten mit den Methoden der Literaturwissenschaft analysieren, um so den Problemen und Chancen von Firmen auf die Spur zu kommen. Und er muss auch Anstrengungen würdigen, die sich nur im kleineren Rahmen rentieren und in einem Feld stattfinden, das dem gemeinen Geldanleger eher fremd ist. Christian Litz hat dem deutschen Büro von Lettre International einen Besuch abgestattet. Die vierteljährlich erscheinende Kulturzeitschrift ist immerhin die einzige hierzulande, die Geld macht und ganz ohne Sponsor auskommt. Da fallen dann im Gespräch mit Frank Berberich, dem deutschen Lettre-Chef, zitatwürdige Sätze wie: „Ziel der Operation war, die publizistische Struktur anzureichern. Die partielle Borniertheit der Gesellschaft aufzubrechen.“ Ein wenig identifizierende, stolz-verschämte Nabelschau von brand eins darf man in diesem Sampling sicher vermuten.

Wer jedenfalls nicht wie Pierre Bourdieu das 18. Jahrhundert und die Generalstände aufrufen möchte, um dem Neoliberalismus Paroli zu bieten, weil das einem dann doch partiell zu borniert erscheint, den interessieren eher die Modelle des „neuen Solidarpakts“ im Maiheft und noch mehr das Cluetrain-Manifest im Aprilheft von brand eins. In diesem Manifest äußern sich die Leute, die die dotcoms ins Fahrwasser gebracht haben, zu einer gerechteren Neuordnung der Märkte durch das Internet. Und die ganz banale Aussage eines der Cluetrain-Initiatoren erklärt plötzlich, warum wir trotz aller Skepsis im Moment alle vom Wirtschaftsgeschehen so fasziniert sind: Das Kapital, das in der Wirtschaft, anders als in den übrigen Bereichen, reichlich vorhanden ist, macht sie zu dem gesellschaftlichen Gebiet, das sich gegenwärtig am schnellsten bewegt. Vieles wird da auf „Versuch und Irrtum“ hinauslaufen, wie eine Rubrik bei brand eins heißt. Und ein bisschen idealer Laborversuch popperscher Machart ist auch die Zeitschrift: experimentelle Informationspolitik für Leser, die mehr an den neuen Fragen als den alten Antworten interessiert sind. Und falls der Versuch schief gehen sollte, dann war er, allein schon layouttechnisch, ein schöner Irrtum.

BRIGITTE WERNEBURG