piwik no script img

Flughafenverfahren abschaffen

betr.: „Flüchtlinge raus aus dem Transit“, taz vom 18. 5. 00

[...] Angesichts des Todes der algerischen Asylsuchenden wird jetzt gefordert, die Dauer der Inhaftierung zu begrenzen (Marieluise Beck, Cem Özdemir) bzw. die Unterbringungssituation zu verbessern (Dieter Wiefelspütz). Das entspricht dem Koalitionsvertrag, greift aber bei weitem zu kurz. Es mag im Einzelfall einen Unterschied machen, wie lange die Freiheitsberaubung besteht. Dass unschuldige Menschen überhaupt eingesperrt werden, bleibt jedoch ein Skandal.

Das Flughafenverfahren ist bekannt für den Druck und die extreme psychische Belastung, der die Betroffenen ausgesetzt sind. Entscheidungen über Asylanträge werden im Sonderverfahren am Flughafen viel schneller, fehlerhafter und ungerechter gefällt, als es in der regulären Asylantragsprüfung ohnehin der Fall ist. Pro Asyl hat eine Vielzahl von Fehlurteilen nachgewiesen. Es zeugt von unverschämter Ignoranz, wenn Otto Schily behauptet, „in der Sache“ gebe es keine Vorwürfe gegen das Flughafenverfahren. Die Betroffenen können sich gegen falsche Entscheidungen praktisch nicht zur Wehr setzen. [...]

Vor diesem Hintergrund hat die SPD bei ihrem Berliner Parteitag vom Dezember 1999 beschlossen, den „§ 18 Asylverfahrensgesetz (Flughafenverfahren) außer Kraft zu setzen“. Der Bundesinnenminister war gerade nicht anwesend, als dies entschieden wurde. Offenbar fühlt er sich auch nicht daran gebunden. Ähnlich verhält es sich mit der Grünen-Fraktion. Die grüne Partei war bereits gegen das Flughafenverfahren, bevor es überhaupt geschaffen wurde. Im Bundestagswahlprogramm von 1998 wurde daher formuliert: „Sonderverfahren wie bei der Einreise an Flughäfen [...] wollen wir ersatzlos streichen.“ Aus den aktuellen Erklärungen geht jedoch hervor, dass weder die Fraktion der SPD noch die der Grünen planen, zu ihren Überzeugungen zu stehen und Flüchtlingen ein reguläres Verfahren im Inland zu ermöglichen. Ein Antrag der PDS auf Abschaffung des Flughafenverfahrens wurde vor zwei Monaten im Innenausschuss des Bundestages von der SPD rundweg abgelehnt. Die Grünen enthielten sich „aus Koalitionsgründen“.

Migrationspolitik kann nicht nur darin bestehen, auf Wunsch der deutschen Industrie, preiswerte Arbeitskräfte anzuheuern. Sie muss verhindern, dass schutzbedürftige Personen zu Abschreckungszwecken eingesperrt und abgeschoben werden. Das unmenschliche Flughafenverfahren muss schnellstens beseitigt werden. BERND PARUSEL, Sprecher der LAG ImmigrantInnen und

Flüchtlinge von B 90/ Grüne, Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen