: Kreative unter Kühen
Unorthodox und fast zu idealistisch, um wahr zu sein: Mit einer neu gegründeten Stiftung geht das Bremer Projekt „Die Höge“ neue Wege der KünstlerInnenförderung
Die Geschichte klingt wie ein Märchen: Als die Grundschullehrerin, Tänzerin und Tanzpädagogin Barbara Reinhart vor einigen Jahren Geld erbte, machte sie zusammen mit der Ärztin und Performancekünstlerin Barbara Baum einen Traum wahr. Nach einjähriger Suche kauften sie im Süden von Bremen einen Hof, um hier ein interdisziplinäres Zentrum für jährlich zehn bis zwanzig Künstlerinnen aufzubauen – für alle Formen und Sparten, von Konzerten und Ausstellungen über gemeinsame Arbeitswochen bis zu mehrmonatigen Studienaufenthalten. Ein in seiner Offenheit bundesweit einmaliges Projekt, das jetzt mit der Fertigstellung von Appartements und der Gründung einer Stiftung für Stipendien richtig loslegen kann.
„Natürlich ist das eigentlich die falsche Zeit, um Sponsoren für ein Kulturprojekt zu gewinnen. Aber das kann doch nicht heißen, dass ich es gar nicht erst versuche“, meint die 45-jährige Barbara Reinhart, die ihre eigenen künstlerischen Ambitionen erst mal zurückgestellt hat. „Ich bin doch nicht die Einzige, die erbt. In meiner Generation gibt es viele, die vom Geschaffe ihrer Eltern profitieren und mit dem Geld was Sinnvolles anfangen wollen.“ Am Anfang trafen einfach fünf bis sechs Künstlerinnen zusammen und entwickelten ein Projekt, das nach und nach der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Inzwischen kann sich auch die technische Ausstattung sehen lassen: Medienraum mit Videoschnittplatz, Studios, ein Theaterraum mit Flügel und eine 300 Quadratmeter große Scheune. Inmitten geradezu idyllischer Gartenanlagen stehen individuell eingerichtete Wohnwagen, die bisher als Unterkünfte dienten. Bei den Proben glotzen Kühe über den Zaun, und für die Bauern sind die Künstlerinnen längst gern gesehene Gäste.
Nun ist ein weiterer, vielleicht sogar der kulturpolitisch wichtigste Schritt getan: Die ehemaligen Ställe wurden zu Appartements ausgebaut und eine Stiftung für drei- bis neunmonatige Arbeits- und Forschungsaufenthalte von Künstlerinnen gegründet. „Es gibt in Deutschland meines Wissens nur drei vergleichbare Modelle der Förderung für Frauen: das Frauenbüro in Krefeld, das Heidelberger Stipendium und eben jetzt die Höge“, sagt Younghi Pagh-Paan, koreanische Komponistin und Mitglied der ersten Auswahl-Jury. „Artist-in-Residence“ heißt das Programm, das getreu den ästhetischen Grundsätzen der Höge vor allem Interdisziplinarität pflegt.
Welche Frauen kommen dürfen, bestimmt eine Jury. Die ersten 25 Stipendiatinnen wurden von Younghi Pagh-Paan, Uta Meta Bauer, der Leiterin des Institutes für Gegenwartskunst in Wien, und Christine Peters, der Leiterin des Künstlerhauses Mousonturm in Frankfurt ausgewählt. Ein Novum im Vergleich zu allen anderen Förderprogrammen ist, dass das Alter bei der Bewerbung keinerlei Rolle spielt – gerade für Frauen mit „Zickzack-Biografien“ unbezahlbar. Drei Japanerinnen, sechs Schweizerinnen, zwei Deutsche, zwei Koreanierinnen sind dabei, auch Frauen aus Belgien, USA, Kanada, Kasachstan, Australien und Polen. Sehr willkommen sind zum Beispiel auch nicht mehr ganz junge Akademikerinnen, die frei arbeiten, weil sie durch biografische „Lücken“ aus dem streng karrieristisch orientierten Wissenschaftsbetrieb herausgefallen sind.
Das Stipendium von rund 2.000 Mark im Monat stammt aus dem Stiftungsfond mit bislang 310.000 Mark Einlagekapital. Wer die Förderung annimmt, hat im Gegenzug Residenzpflicht, aber keinen Produktionszwang. Am Ende des Aufenthaltes muss auch nicht zwingenderweise ein Arbeitsergebnis stehen. „Es soll ein innerlich absolut freier Arbeitsraum sein“, so Reinhart. Und Younghi Pagh-Paan: „Hier kann man einmal, vom Alltag weg, wirklich nur mit sich selber in einen schöpferischen Prozess eintauchen.“ Doch auch sosehr man sich auch um frauenorientierte Förderung bemüht, auch „Die Höge“ hat mit den üblichen strukturellen Hindernissen zu kämpfen. Frauen mit schulpflichtigen Kindern können das Stipendium unter Umständen nicht annehmen: „Wir hatten die Komponistin Mia Schmidt aus Freiburg gefragt“. erzählt Pagh-Paan, „sie schreibt zur Zeit ihre zweite Oper und sie ist allein erziehende Mutter, weshalb sie nicht kommen kann. In diese Lage käme ein Mann kaum.“ UTE SCHALZ-LAURENZE
Informationen unter (0 42 49) 13 77, Fax 13 22, Adresse: „Die Höge e. V.“, Högenhausen 2 D, 27211 Bassum
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