: Die Greisin mit Wassergefühl
Im Kajak-Vierer hat Birgit Fischer die Teilnahme an ihrer fünften Olympiade sicher, am Wochenende will sich die 38-Jährige auch noch im Zweier qualifizieren, um in Sydney mal wieder Gold zu holen
von FRANK KETTERER
So ganz nebenbei könne man das ruhig einmal erwähnen, findet Birgit Fischer. Nämlich, dass gar nicht sie es war, die da die Geschichte mit dem Rekord in die Welt gesetzt hat. „Das sind mehr ihre Kollegen, die da ständig Medaillen zählen“, sagt die 38-jährige Frau und lächelt dabei milde. Übel nimmt sie das den Journalisten freilich nicht, im Gegenteil. „Ich habe mir das jetzt eben selbst ein bisschen zum Ziel auserkoren“, sagt sie. Schließlich brauche ein erfolgreicher Sportler Ziele; und je erfolgreicher einer ist, um so größer müssen die wohl sein.
Birgit Fischer ist in ihrer Sportart die Erfolgreichste überhaupt. 27-mal war sie Weltmeisterin mit dem Kajak, 5-mal Olympiasiegerin und im Sommer in Sydney will die gebürtige Brandenburgerin ihr sechstes Olympiagold gewinnen, was ihr endgültig einen netten Platz im Walhalla des deutschen Sports sichern würde. Sechs Siege bei Olympischen Spielen, das haben hier zu Lande nur der Dressurreiter Reiner Klimke und die Schwimmerin Kristin Otto zu Wege gebracht. Selbst an ihnen könnte Fischer in Sydney vorbeipaddeln, weil sie neben all dem Gold zudem drei silberne Plaketten zu Hause lagern hat. „In so einer Statistik ganz oben zu stehen, das würde schon gut aussehen“, sagt sie. Selbst das Guinness-Buch führt sie als „erfolgreichste Kanutin aller Zeiten“.
Dabei könnte die zweifache Mutter den Rekord längst schon in der Tasche haben. Das tut ihr heute noch weh: der Boykott der Spiele 1984 in Los Angeles durch die DDR. „Damals“, sagt Fischer, „bin ich um drei, mindestens um zwei Goldmedaillen betrogen worden.“ Man darf ihr das glauben; damals, 23-jährig, galt sie als so gut wie unschlagbar, was nicht nur auf ihr großes Talent zurückzuführen war. Der Kanusport war in der DDR Doping-Musterdisziplin bei der flächendeckenden Vergabe von so genannten unterstützenden Mitteln, darunter Anabolika.
Die 38-Jährige will nun eben im Sommer neues Edelmetall, auch wenn der Start in die Olympiasaison der Athletin in den Reihen des WSV Mannheim-Sandhofen mäßig begann. Bei der ersten nationalen Olympiaqualifikation Ende April zerbrach ihr während des Trainings das Paddel. Das führte zu reichlich Verunsicherung – und zu Plätzen zwei und fünf. Beim darauffolgenden Ausscheidungswettbewerb 14 Tage später aber schaffte Birgit Fischer dann die Olympiaqualifikation recht locker.
Sonderlich glücklich gab sie sich trotzdem nicht. „Ich bin insgesamt nicht zufrieden mit dem Saisonbeginn. Aber ich bin optimistisch, dass ich mich noch steigern kann“, sagt sie kämpferisch, zumal Josef Capousek, sowohl Bundestrainer als auch Lebensgefährte von Fischer, die Gründe für die noch zurückhaltenden Leistungen nicht unbekannt sind: „Ich fühle mich ein bisschen schuldig, dass es noch nicht so rund läuft“, analysiert der DKV-Cheftrainer, „schließlich habe ich sie aufgefordert, die Intensitäten im Training noch nicht so hoch zu schrauben.“ Was durchaus ratsam schien, weil Fischer fast das ganze letzte Jahr am Pfeifferschen Drüsenfieber litt; erst seit Mitte Februar fühlt sie sich wieder „recht gesund und fit“. Sie weiß, es schlummern noch Reserven in ihr.
Zumal Fischer im Hinblick auf ihre fünften und wohl endgültig letzten Olympischen Spiele in erster Linie einen Start im Vierer anvisiert. „Das ist ein Boot, in dem ich schon noch meinen Platz finde und meine Leistung einbringen kann“, sagt sie. Und auch, dass es ihr völlig reiche, „wenn ich da drin sitze und wir Gold holen.“ Der Startplatz im Einer ist eh so gut wie sicher vergeben an Katrin Kieseler, ihre derzeit überlegene Trainingspartnerin in Berlin. Der Zweier wäre mehr oder weniger eine Zugabe. Zusammen mit Katrin Kieseler kämpft sie an diesem Wochenende beim Weltcup im ungarischen Szeged um das Olympiaticket, das den beiden vor allem die Potsdamerinnen Katrin Wagner und Manuela Mucke streitig machen wollen.
Manchmal wundert sich Fischer über sich selbst, wie sie das alles schafft: Kinder, Haushalt, Training und so ganz nebenbei das Fernstudium in Sport- und Touristikmanagement, das sie gleich nach den Spielen abschließen möchte. Und sie wundert sich vor allem, dass sie den Jungen im hohen Sportgreisenalter von 38 Jahren immer noch davonpaddelt. Die ärgern sich dann grün und blau, weil sie wieder einmal von einer geschlagen wurden, die ihre Mutter sein könnte. Dass die Nachwuchskanutinnen inzwischen mehr Kraft haben als sie, weiß Birgit Fischer. „Vielleicht ist es ein bisschen die Technik und das Wassergefühl, die ich als Plus auf meine Seite bringen kann“, sagt sie.
Technik und Wassergefühl, die sie in mehr als 20 Jahren Leistungssport, lediglich unterbrochen von einer dreijährigen Babypause 1992 vor den Olympischen Spielen in Barcelona, perfektionieren konnte. 18 Jahre alt war Birgit Fischer, als sie in Moskau erstmals Olympiasiegerin wurde, 38 wäre sie, wenn es wirklich klappt mit dem sechsten Gold in Sydney. Das musste einfach mal erwähnt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen