: Orchester darf weiter schmoren
■ Der Kultursenator trocknet das Staatsorchester seit Jahren aus. Trotzdem gelang ihm jetzt ein mitreißender Saisonabschluss
Das Philharmonische Staatsorchester ist seit Jahren unterbesetzt. Trotzdem glänzt es immer wieder durch hervorragende Konzerte. Man fragt sich langsam, wie lange das Orchester dazu noch bereit ist. Die Philharmonische Gesellschaft hat jetzt mit einem Fragenkatalog beim Kultursenator Bernt Schulte (CDU) angeklopft. Die ehrenwerte Gesellschaft wollte unter anderem wissen, wie sich die Kulturbehörde die Zukunft des Orchesters vorstellt und wann man eine Findungskommission für die Nachfolge des im Sommer 2002 ganz aus Bremen weggehenden Generalmusikdirektors (GMD) Günter Neuhold einzuberufen gedenkt. Doch weder der Senator noch die Staatsrätin Elisabeth Motschmann konnten die Fragen zufriedenstellend beantworten: „So vertröstet man Vollidioten“, lautete der harsche Kommentar aus den Reihen der Philharmonischen Gesellschaft.
Fakt ist derzeit, dass von den vertraglich zugesicherten 87 Stellen am Ende der Spielzeit nur noch 71 besetzt sind. Zur Erinnerung: Einem A-Orchester, wozu das bremische noch immer zählt, stehen 99 Stellen zu. Für fünf bereits ausgewählte MusikerInnen wird die Einstellung hinausgeschoben. Das hat zur Folge, dass die sich wohl nach einem anderen Job umsehen und eines Tages auch nicht mehr da sind.
Gleichwohl: Das Schlusskonzert der Saison und gleichzeitig des 175-jährigen Jubiläumsjahres gelang am Montagabend unter Leitung von Günter Neuhold mitreißend – mit dreißig (!) Aushilfen. Mit zwei großen Werken von Manuel de Falla erinnerte das Konzert an einen Komponisten, dessen Name zwar bekannt ist. Dieser Bekanntheitsgrad steht aber in keinem Verhältnis zur mangelnden Präsenz seines Werkes.
Es gibt ein hartnäckiges Gerücht, dass Manuel de Falla für andalusische Folklore steht. Wie wenig das stimmt und wie sehr die 1914-1915 und 1917-1919 entstandenen Ballette „El Amor brujo“ und „El sombrero de tres picos“ auf einzigartige Weise den Verismo, die Elemente der andalusischen Volksmusik, eine impressionistische Koloristik und einen Strawinsky-ähnlichen Rhythmus miteinander verschmelzen, zeigten die hochinspirierten Wiedergaben bes-tens. Neuhold meißelte die vorwärts treibenden Ecken und Kanten dieser leuchtenden Musik auf intensive Weise aus. Die melancholische Weichheit der Bläser, die Farbkraft der Streicher, die rhythmische Wucht des Schlagzeuges – kaum kann man sich die Aufgehobenheit der alten Tänze und des „Cante jondo“ besser vorstellen als in dieser brillant glitzernden Wiedergabe. Die junge Altistin Theodora Baka fand für „El amor brujo“ einen überzeugenden Zugang, wobei man sich für Lieder des Mädchens, das von seinem toten Liebhaber verfolgt wird, noch mehr an sinnlichen Klangnuancen vorstellen könnte.
Sehr viel flacher ist die Musik von Joaquin Rodrigo, der mit seinem „Concierto de Aranjuez“ für Gitarre und Orchester eine unterhaltsame Nettigkeit schrieb, die 1974 Nicor Zabaleta für Harfe transkribierte. In dieser Fassung konnte die Harfenistin Isabelle Moretti eine derartige Fülle ihres Könnens zeigen, dass zwei Zugaben die Folge waren. Die Poesie ihres Spiels – hinreißendes Legato und Piano zum Beispiel – stand in schönem Gleichgewicht zu einem spielfreudigen und witzig-pfiffigen Zugriff. Man hat ja selten Gelegenheit, dieses Instrument so reichhaltig zu hören.
Am Ende gab's nicht enden wollenden Beifall und Rosen für alle, verteilt von den neuen Vorstandsmitgliedern der Philharmonischen Gesellschaft, den Kulturpolitikerinnen Carmen Emigholz (SPD) und Sigrid Koestermann (CDU). Wenigstens die wollen sich für das Orchester einsetzen. Dass wir die Daumen drücken, wäre zu wenig: Es darf einfach nicht wahr sein, eine kulturelle Selbstverständlichkeit für einen Stadtstaat von der Größe Bremens wie das Staatsorchester derart vor sich hinschmoren zu lassen, wie es derzeit geschieht. Auch das ist „Bremen neu erleben“ – leider. Ute Schalz-Laurenze
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