: Drei Farben Auto
Der Crashtest-Fotograf und die lange Fahrt auf der ideologischen Überholspur: Kienzle & Gmeiner zeigt Christopher Williams Ausstellung „Couleur Européenne Couleur Soviétique Couleur Chinoise“
von ANKE KEMPKES
Christopher Williams ist bereits ein Klassiker der konzeptuellen Fotografie. Neben Stephen Prina, Sharon Lockhart und David Lamelas hat er maßgeblich eine junge Generation von KünstlerInnen beeinflusst, die seit einiger Zeit Los Angeles als Kunststandort einen internationalen Boom beschehren.
Künstler wie Williams und Prina begannen Anfang der 80er-Jahre – parallel zu New Yorker Positionen wie Jenny Holzer und Barbara Kruger – die Konzept-Kunst aus ihrer formalistischen Starre zu lösen und mit neuen Inhalten zu füllen. Während Holzer und Kruger die Mittel der Konzept-Kunst agitatorisch besetzten, verharrten die Kalifornier im Galerie- oder Institutionsraum und vermaßen in feinen Schritten das Verhältnis von Struktur und Repräsentation.
Bis heute arbeitet Williams an wenigen zugespitzen Motiven, die sich in das zeitgenössische Kunstgedächtnis eingegraben haben. Es gehört zu den konzeptuellen Distanzierungsmaßnahmen des Künstlers, seine Motive fotografieren zu lassen. Er macht dabei die Produktionsbedingungen des Mediums zum Thema. Die industriellen Farbpaletten von Kodak, Fuji und Agfa tauchen auf einem hübsch arrangierten Plastikgeschirr in einer Spülmaschine auf, in anderen Bildern geht es um die ideologischen Konstruktionen im Motiv: um das Dokumentarische, um Voyeurismus und Kolonialismus.
War für Konzeptkünstler der ersten Stunde das fotografische Bild selbst lediglich statistische Information, so steht für Williams die Funktionsweise des Abbilds im Mittelpunkt. Er holt es hervor aus jener inszenierten Zufälligkeit der Konzept-Kunst, die noch glaubte, die repräsentative Logik eines Bildes strukturell stilllegen zu können. Williams kreiert Ikonen des Alltags, denen immer etwas hinzugefügt wird an Aussage über die Schönheit industrieller Produkte, über die Eigenständigkeit eines Objekts gegenüber einem Bedeutungszusammenhangs, über dessen Magie, Eindrücke eines ganzen Zeitgeschehens zu verdichten.
Der Künstler kommt in die Jahre und blickt zurück: Er reist nach Kuba und setzt seiner „Mao-Phase“ ein Denkmal. In der Ausstellung „Couleur Européenne Couleur Soviétique Couleur Chinoise“ in der Galerie Kienzle & Gmeiner taucht nun viermal das Schwarzweißfoto eines umgestürzten 64er Renaults auf. Das Modell ruft Erinnerungen an den Mai 68 in Paris hervor, wo das Parade-Auto des aufstrebenden Mittelstands ein beliebtes Objekt für den Bau von Blockaden wurde. Der umgekippte glänzende Renault auf der leeren Tribüne ist ein künstlerisches Emblem, in dem der vergangene politische Aufruhr ebenso aufscheint wie die Vermarktbarkeit von Katastrophe, hedonistischem Protest und Freizeit. Tom Holert wies darauf hin, dass das Bild des umgestürzten Autos nicht mehr als subversives Symbol besetzt werden könne, da es längst in der alltäglichen Bild- und Börsenlogik des „Crashs“ aufgehe.
Williams’ Motiv nimmt Maß an diesen Grenzrhetoriken von Kunst, Massenkultur und Politik. Dabei wählt er exakt den Umbruch von 68 als Drehpunkt für seine Arbeit, als sich viele KünstlerInnen angesichts des Vietnamkriegs, der Bürgerrechts- und Emanzipationsbewegungen und antikolonialer Kämpfe vom Autonomiedenken der Kunst der 50er- und 60er-Jahre verabschiedeten. Charakteristisch für diesen Übergang war das euphorische Ausstellungskonzept „Poetry must be made by all! Transform the World!“ in Stockholm, wo die Kuratoren eine – heute schauderhaft linksrassistisch wirkende – Levi-Strauss-goes-Pop-Ästhetik umarmten.
In seiner Ausstellung zeigt Williams ein Foto der monochrom weißen Rückseite des Katalogs dieser 69er-Show. Hier deutet sich also ein Zusammenhang an, der gleichzeitig verdeckt wird. Es bleibt im wörtlichen Sinn nur die Rückseite, die Spur eines ideologischen Kontextes, übrig.
Bis 1. 7., Galerie Kienzle & Gmeiner, Bleibtreustr. 54
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