piwik no script img

Autofrei – mit Vollgas dabei

Morgen sollen die Berliner erstmals an einem so genannten autofreien Sonntag ihre Wagen stehen lassen. Weiträumige Straßensperren wird es nicht geben. Dafür aber locken Volksfeste nach Mitte

von RICHARD ROTHER

Eines muss man ihm lassen: Der autofreie Sonntag hat Charme – die Autofans können mit ihrem geliebten Wagen anrollen. Mit Vollgas, und das legal! Denn Verbote oder weiträumige Straßensperrungen – solche autoritären Maßnahmen sind den Berliner Bleifüßen nicht zuzumuten. Freiheit ist immer die Freiheit der Andersfahrenden! Der Senat, allen voran Verkehrssenator Peter Strieder (SPD), appelliert an das gute Gewissen der Autofahrer. Am Sonntag soll das Auto ruhen!

Zum Beispiel auf dem großen Parkplatz am Alex. Für die Autofahrer hat das zwei Vorteile: Erstens können sie die Straßenveranstaltungen zum Thema „Stadt-Mobilität-Spaß“, die auf der Ost-West-Magistrale zwischen Alex und dem Bahnhof Tiergarten stattfinden, bequem besuchen. Und zweitens ist sogar das Parken super günstig. Das muss die benzinpreisgeplagten Blechbesitzer einfach ansprechen: Wo sonst Autofahrer mit 4 Mark pro Stunde abgezockt werden, können sie morgen ihren Polo oder Porsche, Mitsubishi oder Maserati ganz umsonst abstellen. Der siebte Tag der Woche bleibt parkgebührenfrei.

Niedrigschwelliger kann ein Angebot nicht sein. Ob das ganze etwas nützt, steht allerdings in den Mercedes-Sternen. Schließlich ist die ganze Stadt vollgestellt mit nett gemeinten Appellen an die „lieben Autofahrer“: „Vorsicht Kinder“, steht da zum Beispiel auf selbst gebastelten Schildern vor Schulen: „Hier spielen wir“, wird dort mit Kreide auf den Asphalt gezeichnet. Im Allgemeinen bringt das wenig: In der verkehrsberuhigten Zone – Vorschrift Schritttempo – muss es bei vielen schon der dritte Gang sein. Und wer sich autofahrend weigert, vor einer roten Ampel Gas zu geben, wird gnadenlos ausgehupt.

Wer es nicht glaubt, stelle sich morgen – am autofreien Sonntag – an die Straße und beobachte. Die allermeisten werden sich einen feuchten Frontscheibenstaub um Strieders Appelle scheren. Strieder wird jedoch, unisono mit den Umweltverbänden, verkünden, der erste Stadt-Mobilitäts-Spaß-Sonntag sei ein voller Erfolg gewesen, weil so viele Berliner zu den Volksfesten gepilgert seien und die Fahrräder auf der Avus im Stau gestanden hätten. Und weil das Thema in aller Munde sei und sich jeder Autofahrer demnächst dreimal überlegen wird, ob er den Schlüssel einsteckt.

Allerdings: Mit dem Auto ist es wie mit dem Handy – wer eins hat, nutzt es. Egal, ob irgendwer an irgendwas appelliert oder die Preise um ein paar Pfennige steigen. Schließlich gönnt man sich ja sonst nichts. Das einzige, was vom Autofahren abhält: Stau, kein Parkplatz oder gesperrte Straßen. Das haben sogar die nicht gerade für ihre Auto-Abstinenz bekannten Italiener begriffen. Sie haben die Innenstadt gesperrt: sowohl für Autos als auch für die stinkenden Mofas. Ergebnis war ein auto- und abgasfreier Sonntag. Alle Wege führen nach Rom? Wenn schon, denkt der Autofahrer: Morgen fahr’ ich eh nicht in die Innenstadt, sondern raus an den See!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen