piwik no script img

Luft von fremden Planeten

■ Mit zwei Konzerten in der Kunsthalle zeigte die HfK geheime Verbindungslinien zwischen der Abstraktion der „Blauen Reiter“ und Schönbergs Atonalität – und vieles mehr

„Seit der Flöte des Faun atmet die Musik anders“, meinte der französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez über „Prélude à l'après-midi d'un Faune“, das Claude Debussy 1894, einige Jahre vor der definitiven Auflösung der Tonalität und der „Erfindung“ des Zwölftonsystems, komponierte. Und Maurice Ravel schwärmte sogar nach der Uraufführung, erst jetzt wisse er, „was Musik ist“. Dass der visionäre Atem dieser Musik mit all ihrer farblichen Kraft und strukturellen Originalität wie neu hörbar wurde, dafür sorgte eine blendende Aufführung des Orchesters der Hochschule für Künste (HfK) unter der Leitung des Gastdirigenten Peter Rundel. Es handelte sich um das fünfte Konzert von sechs Veranstaltungen, die die Hochschule für Künste zu der Ausstellung „Der Blaue Reiter“ hochambitioniert zusammengestellt hat. Eine Unmenge von Proben sind diesem in der Kunsthalle begeistert angenommenen Konzert vorausgegangen, und es wurde klar: Wenn so viel investiert wird, muss sich der Fachbereich Musik gegenüber der Konkurrenz in der Stadt nicht mehr verstecken.

Zu diesem Eindruck trug allerdings auch Uta Krause bei, die die 110 Verse von Stephan Mallarmé über die Begierden und Träume eines Fauns in der Hitze des Nachmittags hinreißend einfühlsam las. Aber das war's nicht allein. Die selten zu hörenden „Drei Stücke für Kammerorchester“ (1910) aus Schönbergs Periode freier Atonalität stattete Rundel mit einer ausgewogenen Mischung zwischen strenger Transparenz der Struktur und hingebungsvoller Expression aus: eine unglaubliche Leistung angesichts der fragmentarischen Kürze der Stücke, die zwischen ein und zwei Minuten lang sind. Auch den berühmten Orchesterstücken op. 16 (1909), deren Mittelsatz den bezeichnenden Titel „Farben“ trägt, widerfuhr diese interpretatorische Sorgfalt zwischen irrisierenden Klangflächen und präziser motivischer Arbeit.

Und noch einmal Uta Krause mit Richard Dehmels „Verklärter Nacht“, jenem heute reichlich schwer erträglichem Gedicht von 1896, in dem es um einen Mann geht, der eine Frau liebt, und zwar mitsamt ihrem ungeborenen Kind, das von einem anderen Mann stammt. Krause zeigt, dass man das heute sehr wohl noch lesen kann: Distanz und Direktheit gleichermaßen machen es möglich. Schönbergs leuchtend-sattes Sextett, dessen Grundlage das Gedicht ist, wurde von Thomas Klug einstudiert. Das Ergebnis warf ein überzeugendes Licht auf die Streicherkapazitäten – alles junge Semester – unter den Studenten.

Während der Kritiker der Uraufführung von Schönbergs 2. Streichquartett meinte, „eine veritable Katzenmusik“ vernommen zu haben, war einer der Maler des „Blauen Reiter“, Wassily Kandinsky, so begeistert, dass er 1911 an Schönberg schrieb und beide Gemeinsamkeiten für die Zukunft der Kunst entdeckten und weiterentwickelten. „Und die 'heutige' malerische und musikalische Dissonanz ist nichts als die Consonanz von 'morgen'“, prophezeite er, und Schönberg antwortete: „Wenn der Künstler einmal dahin gelangt, in den Rhythmen und Tonwerten nur den Ausdruck innerer Vorgänge, innerer Bilder zu wünschen, dann hat das 'Objekt der Malerei' aufgehört bloß dem reproduzierenden Auge anzugehören“. Unmittelbar nach dem Konzert malte Kandinsky „Impression 3“.

Beide Werke waren Gegenstand der letzten Veranstaltung der Reihe, einer Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen, die Schule machen sollte: Der Kunstwissenschaftler Peter Rautmann erläuterte Kandinskys „Impresssion 3“, der Musikwissenschaftler Nicolas Schalz Schönbergs letzten Satz aus dem Quartett, der Briefwechsel Kandinsky-Schönberg wurde von Renato Grünig und Sebastian Kautz gelesen und der letzte Satz des Quartetts vom Arnold-Quartett und der Sopranistin Elisabeth Böhmer zweimal gespielt. Dies alles in einer dramaturgisch gut konzipierten Form der Matinée. „Ich fühle Luft von anderem Planeten“: Mit diesem Titel eines Gedichtes von Stefan George, das Schönberg im letzten Satz seines Quartettes vertont, wurde handfest nachvollziehbar, um was es den Künstlern am Anfang des Jahrhunderts ging.. Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen