lehrter bahnhof: Die Stadt auf dem Abstellgleis
Bahnchef Hartmut Mehdorn hat die Notbremse beim Lehrter Superbahnhof gezogen. Und die Stadt steht auf dem Abstellgleis. Denn die Entscheidung des neuen Bahnvorstands, die beiden großen Bürohochhäuser nicht selbst zu bauen, bringt Berlin aus dem städtebaulichen Gleichgewicht. Findet sich kein Investor, was angesichts des millionenfachen Überangebots leer stehender Büroquadratmeter fast sicher ist, entsteht am Lehrter Bahnhof weder der 1 a-Standort für Headquarters großer Unternehmen noch ein Bahnhofsviertel mit Geschäoften, Hotels oder Rotlichtbars. Unter solchen Vorzeichen droht der Lehrter Stadtbahnhof eine städtebauliche Wüste zu bleiben; mit Rohbaustümpfen, die jetzt schon aus der Erde gucken.
KOMMENTAR von ROLF LAUTENSCHLÄGER
Die Zeiten sind vorbei, als Ex-Bahnchef Dürr und Ex-Stadtentwicklungssenator Hassemer beisammenhockten und Stadtplanung spielten. Immer deutlicher wird, dass überdimensionierte Verkehrsprojekte der frühen 90er-Jahre floppen. Nach dem Spandauer „Dienstleistungsbahnhof“ wurde der Bahnhof Papestraße auf Diät gesetzt – nun gefolgt vom Lehrter Bahnhof. Statt hochfliegender Bauvorhaben fallen der Stadt jetzt die Rudimente einer zu groß angelegten Verkehrsplanung auf die Füße. Prophezeit hat man das Malheur schon lange. Nur wollte dies im hauptstädtischen Gründerfieber niemand hören. Der Bahn ist die mit verschuldete Situation in Berlin egal. Weil dem Bahnchef die Kosten bei den Großprojekten davonlaufen, interessiert ihn nur der radikale Sanierungskurs, der das Unternehmen kapitalmarktfähig machen soll. Ein wenig Demut aber müsste auch er zeigen: Denn während Mehdorn die Projekte kippt und Strecken stilllegt, gönnt sich der Bahnchef die teuerste Adresse für sein neues Hauptquartier: das Sony-Hochhaus am Potsdamer Platz, für zwei Millionen Mark Jahresmiete.
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