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Einwanderung weit über dem Plan

In Spanien melden sich viel mehr heimliche Immigranten zur Legalisierung ihrer Lage bei den Behörden als erwartet. Die Zuwanderung reißt nicht ab. Nun will die Regierung das neue Ausländergesetz reformieren. Die Opposition schweigt

aus Madrid REINER WANDLER

Die Mitarbeiter der spanischen Ausländerbehörden sind erstaunt. Soeben vermeldeten sie Halbzeit im viermonatigen Regularisierungsprozess für im Land lebende Ausländer ohne Papiere und schon haben sich 126.000 Betroffene gemeldet. Das sind 50 Prozent mehr, als die Regierung bis zum Ablauf der Frist Ende Juli erwartete. Mittlerweile rechnen die zuständigen Stellen von 150.000 bis 200.000 möglichen Antragstellern.

„Vielleicht lagen wir gar nicht so falsch, als wir die Schätzung abgaben, aber jetzt gibt es mehr Ausländer als damals“, verkündet ein Sprecher des Innenministeriums. Das was die Regierung „Rufeffekt“ nennt, sei daran schuld. Die Schleppermafias würden seit Beginn der Regularisierung mehr Illegale über die Meerenge von Gibraltar von Afrika nach Spanien schaffen denn je. Sie würden sie mit der Aussicht auf Papiere locken.

„Unzulässige Stimmungsmache“, sehen Gewerkschaften und regierungsunabhängige Organisationen (NGOs) darin. Denn um sich legalisieren zu lassen, müssen die Betroffenen nachweisen können, mindestens seit Juni vergangenen Jahres in Spanien zu leben. Allerdings können auch die NGOs nicht bestreiten, dass zwar nicht die jetzige Regularisierung, aber ein anderer Teil des vor vier Monaten verabschiedeten neuen Ausländergesetzes tatsächlich neue illegale Einwanderer anzieht. Ein Paragraph verspricht nämlich denen, die künftig länger als zwei Jahre ohne Papiere in Spanien aushalten, einen Anspruch auf Legalisierung.

Täglich werden Immigranten aus allen Herren Länder an den Stränden verhaftet und meist sofort wieder abgeschoben. Allein in der Provinz Cádiz griff die Polizei in diesem Frühjahr 3.566 Illegale auf. 1999 waren es im ganzen Jahr gerade einmal 2.681. Das „Manifest der beiden Ufer“, ein Bündnis aus 500 spanischen und marokkanischen Organisationen, zählte seit Jahresbeginn bei diesem gefährlichen Weg in das vermeintliche El Dorado 120 Tote. Insgesamt eine Million Menschen wurden 1999 an Spaniens Grenzen abgewiesen.

Die spanische Regierung setzt auf zwei Lösungen. Zum einen versprach der konservative Regierungschef José María Aznar seinem marokkanischen Amtskollegen, dem Sozialisten Abderrahmane Youssoufi, beim letzten bilateralen Treffen Millioneninvestitionen, um den Lebensstandard vor allem in Nordmarokko zu heben. Zum anderen soll das Ausländergesetz so bald wie möglich reformiert werden. Vor allem die automatische Regularisierung soll gestrichen werden.

Die Oppositionsparteien, die vor den Wahlen vergangenen März das jetzt in Frage stehende Gesetz gegen die damals noch in Minderheit regierende Regierung von Aznar durchstimmten, hüllen sich jetzt in Schweigen. Und selbst die Verantwortlichen der Solidaritätsbewegung und Gewerkschaften zeigen sich ratlos. Auch sie wissen keine Antwort auf die Frage, wie eine automatische Regularisierung in einem Land funktionieren soll, in dem soziale Integration für viele Einheimische ein Fremdwort ist.

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