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Die Schaben waren mal knackiger

■ Im Puppentheater Theatrium spukt derzeit die Addams Family

Anfang des 16. Jahrhunderts konnte Kopernikus den Irrtum widerlegen, ausgerechnet die winzige Erde sei der Mittelpunkt der Welt. Anfang des 20. Jahrhunderts war es dann Charles Samuel Addams (1912-88), der Schluss machte mit dem zweiten großen Egozentrismus in der Menschheitsgeschichte. Bislang glaubte alle Welt, nur Menschen seien im Besitz eines liebreizenden menschlichen Charakters. Doch mit seinen Cartoons im „New Yorker“ zeigte Addams ab dem Jahr 1932, dass auch Gespenster familiäre Gesellschaftswesen sind und keineswegs gefühllos, gemein und besessen von der Idee, alle Menschen irreversibel in den Wahnsinn zu treiben. Seine gespenstischen Recherchen unternahm Addams in einem klassischen amerikanischen Durchschnittshaushalt mit zwei Kindern: Mamma Morticia, Pappa Gomez, Tochter Wednesday und das widerwärtige Pummelchen Pugsley, alles ganz normal.

Zwar weichen manche Alltagsgewohnheiten der Spezies der Blutlosen durchaus ein wenig von denen der Rosahäuter ab. Der Kinder liebstes Spiel ist das Guillotinieren ihrer Puppen, Onkel Fester erholt sich am besten auf dem Streckbett im Folterkeller oder beim Anbellen des Vollmondes und als Vorspeise werden knackige Kakerlaken bevorzugt. Doch Fürsorge und Liebe im Familienverband der Gespenster sind so licht, edel und rein wie in der Rama-Werbung, sieht man mal ab von Wednesdays hartnäckigen Bemühungen in Sachen Brudermord.

In der US-TV-Serie von 1964/65 und in den beiden Spielfilmen (1991/93) mit der grandiosen Anjelica Huston und Raul Julia (einem achtbaren Shakespearemimen, der übrigens kurz nach den Dreharbeiten in jungem Alter dahinschied!) hält tiefe Romantik Einzug, wenn Gomez fragt „Hach, bist du unglücklich, Morticia“, und Morticia verzückt haucht: „Oh ja, Schatz, schrecklich unglücklich.“ Ein Liebesseufzen, dass natürlich auch in der Fassung des Theatrium-Puppentheaters im Packhaus nicht fehlt.

Genau wie in Barry Sonnenfelds zweitem Addams-Film ist auch in der Puppenfassung nicht das Monster eine Bedrohung für die Menschheit, sondern die Menschheit eine Bedrohung für die liebenswerten Mönsterlein, und zwar die Menschheit in Gestalt einer Heiratsschwindlerin. Sie reißt sich nicht nur Onkel Fester, sondern auch das Schloss unter den Nagel. Morticia und Gomez müssen umziehen in eine properes Appartement ganz ohne Spinnweben und Kellergruft. Lebensunerfahren wie sie sind, erwarten sie sich Hilfe durch die Öffentlichkeit, TV, Talkshow, Biolek. Aber am Ende hilft wie immer nur nackte Gewalt. Ein gezielter Schlag auf den Kopf heilt Fester von seiner Leidenschaft für muntere Farben, die unvermeidlichen Teletubbies und andere allzu arg menschlichen Umtriebe.

Die Mittel eines Puppentheaters sind begrenzt. Die lückenlose Illusion des Kinos ist nicht erreichbar. Deshalb wohl entschieden sich Heinichen und Krebs schon bei einer früheren Adaption von Süßkinds „Das Parfüm“, auf der Bühne sichtbar zu bleiben. In ihrer Doppelrolle als Puppenführer und Schauspieler brechen sie in Brechtscher epischer Verfremdungsmanier die Fiktion immer wieder auf. „Aha, späte DDR“, heißt es dann bezeichnenderweise über einen Requisitenkoffer, aus dem die beiden jene Perücken, Nasen und Kinnbauteile holen, die vor aller Publikumsaugen eine Lehrerinpuppe in einen TV-Moderator verwandelt. Ihre spezifische Kunst der Illusion ist, wenn man trotzdem dran glaubt, zumindest sekundenweise. Die Menschen stehen den Puppen schon mal im Weg rum, und wenn die Schauspieler keine Hand mehr frei haben, etwa zum Weiterreichen einer Zündholzschachtel, meint die Puppe Gomez abgeklärt und verständnisvoll: „Na ja, das sind die Gesetze der Natur.“

Wie in der Vorlage ist das Gruseln unauffälliger Teil des Alltags: „In der letzten Saison waren die Schaben aber besser.“ Trotzdem gibt es einen gewaltigen Unterschied zu den Filmen. Das Eklige ist immer gleich von der ersten Sekunde an heiter, witzig und unbedarft, statt ein mysteriöses Gegengewicht zum family life zu bilden, ganz so als hätte man ein kindliches Zielpublikum im Auge. Frostig wird es nie. Aber dafür sind auch die klimatischen Zustände im Theatersaal zuständig. Unterm Dach herrscht Bullenhitze. Versäumt wird, vielleicht nicht nur in klimatischer Hinsicht, der Abstieg in die moderigen, dunklen Kellergewölbe des Kleinfamiliendaseins. bk

7.-9.,  15.-17.,  21.-23.6.,  29.6.-1.7.,  6.-8.7, 20 Uhr, im Theatrium/Packhaus (Wüste Stätte 11). Tel.: 32 68 13

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