: „Der Druck hat zugenommen!“
Als Autor der satirischen TV-Programme „Kukly“ („Spitting Image“) und „Itogo“ beim Privatsender NTW veralbert Wiktor Schenderowitsch gerne den Kreml und andere Autoritäten des Landes – seine Putin-Puppe hat jedoch vorerst ausgetanzt
Interview KLAUS-HELGE DONATH
taz: Plötzlich fehlte Putins Puppe. War das ein Kotau vor dem Kreml, der sich mit dem Abbild des Präsidenten nicht abfinden kann und will?
Wiktor Schenderowitsch: Nein, es war ein Scherz. Nie hätten wir gefragt oder auf eine Warnung reagiert. Wir wollten den verängstigten Geistern nur vorführen: Auch ohne Putins Puppe kann es hart zur Sache gehen, vielleicht sogar noch schärfer. Es war eine Demonstration unserer schöpferischen Möglichkeiten. Ich hatte das nur mit unserem Direktor Jewgenij Kiseljow vorher abgesprochen.
Hat der Kreml auf die physische Abwesenheit des Präsidenten reagiert?
Bisher nicht. Dank des unsichtbaren Putin ist die Zuschauerquote in Moskau anderthalbfach – auf über 50 Prozent – gestiegen. Wie wir erwartet hatten. Die entscheidende Figur muss nicht auf der Bühne stehen, aus der Kulisse heraus wirkt sie noch effektiver ... als ob man das im Kreml nicht wüsste.
Mit der Ära Putin beginnt für den russischen Satiriker eine goldene Zeit ...
Das ist wie Windsurfen. Wenn kein Gegenwind kommt, kippt man um. Natürlich ist es aufregender, mitten im Epizentrum der Konflikte zu stehen.
Schon unter Jelzin wurde Satire nicht gerade geschätzt. Wo liegt der Unterschied?
Der Druck hat erheblich zugenommen. Wir haben an Boris Jelzin kaum ein gutes Haar gelassen, manchmal war das schon traurig. Dennoch: Jelzin war eine große historische Figur, die ihren Wert in der russischen Geschichte kannte. Deshalb konnte er toleranter sein und Kritik gelassener ertragen. Die neue Macht indes scheint ein ziemlich fragiles Selbstwertgefühl zu haben. Auf Putins Fehlbarkeit haben wir als erster und einziger Sender hingewiesen. Die Macht geriet außer sich! Nach einem halben Jahr Schonzeit hat sich der Kreml nicht nur daran gewöhnt, er glaubt sogar an seine Unfehlbarkeit. Wenn man etwas über ihn sagen darf, dann nach dem Motto: Über die Toten nichts, wenn nicht Gutes. Angefangen hat das mit einer Adaptation des Märchens „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann. Danach ging es richtig los.
Autoritätspersonen durch den Kakao zu ziehen gilt in Russland als ungehörig. Sind Volk und Führung eins?
So einfach ist das nicht. Dazu ein Sprichwort: „Russen spannen lange an, jagen aber dann.“ Bei uns setzt man anfangs mehr Vertrauen in die Führung als im übrigen Europa. Da tauchte ein neuer Mann auf, mit festem Blick und Händedruck. Kein Säufer, sondern jemand, der anpackt. Das Volk ist nicht von Kritik entwöhnt, es braucht nur länger, bis es Enttäuschungen zugibt. Kommt es aber so weit, dann „gnade dir Gott“! Noch ist der Vertrauenskredit nicht aufgebraucht. Doch außer Tschetschenien ist bisher nichts gewesen. Ändert sich daran nichts, droht Putin ein schlimmeres, weil gnadenloseres Schicksal als Jelzin. Der konnte auf echte historische Verdienste verweisen, Putin nicht. In diesem Sinn erweisen wir ihm einen nützlichen Dienst: Denk dran, der Vorrat an Zuneigung reicht nicht ewig.
Ist die Gefahr eines Autoritarismus virulent, oder geht der Westen in seiner Wahrnehmung zu selektiv vor?
Die Gefahr wird im Westen ein bisschen übertrieben. Man neigt dort zur Zuspitzung. Die Gefahr besteht, aber sie ist nicht zwangsläufig. Leute aus dem FSB, den Sicherheitsorganen, die in wichtige Funktionen hineingerutscht sind, kennen keine anderen Methoden. Die ersten Fälle, die Verhaftung des Tschetschenien-Reporters Andrej Babitzki oder die Durchsuchung von Media Most haben eines deutlich gezeigt. Man versucht es auf die alte Tour, aber es funktioniert nicht mehr. Babitzki wurde freigelassen und lebt, und ein Gericht verurteilte die Razzia bei Most als ungesetzlich. Man versucht, die Presse zu unterdrücken, aber mit untauglichen Mitteln. Denn Russland ist inzwischen ein anderes Land. Davon bin ich fest überzeugt und darauf ruht meine Hoffnung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen