piwik no script img

Im Osten viel Neues

Einst war sie das Blatt der DDR-Bürgerrechtsbewegung, heute steht die „Altmark-Zeitung“ allein auf weiter Flur – und behauptet sich dort tapfer

von GUNNAR LEUE

Wer heute nach Erfolgsstorys im ostdeutschen Zeitungswesen sucht, wird kaum fündig werden. Zwar existiert die einst auflagenstärkste DDR-Tageszeitung junge Welt nach einem Auflagensturz halbwegs munter weiter. Ansonsten herrscht nach dem heftigen Rauschen im Blätterwald – fast 100 Neugründungen zwischen 1990 und 1992 – Stille.

Die einstigen SED-Bezirksorgane wandelten sich nach ihrem Verkauf an westdeutsche (Groß-) Verlage zu oft monopolartigen Regionalzeitungen, die den Neugründungen expandierender Westverlage keine Chance ließen. Und schon gar nicht den während der Wende von DDR-Bürgern gegründeten Blättern. Überlebt hat jedoch die überhaupt erste von Bürgerrechtlern mit offizieller Lizenz der DDR-Regierung herausgegebene Zeitung: die Altmark-Zeitung (AMZ). Ulrike Meineke erscheint das heute wie ein kleines Wunder, denn sie weiß noch genau, dass die Geburtsstunde der AMZ im Oktober 1989 mit keinerlei kommerziellen Absichten verbunden war. Die damals 22-jährige Agrar-Ingenieurin gehörte seinerzeit zu den aktiven Frustrierten, die sich in der 25.000-Einwohner-Stadt Salzwedel im Neuen Forum zusammengetan hatten. Der Aufstand gegen die Verhältnisse ging zügig voran, allein das örtliche SED-Lokalblatt Volksstimme mochte über die führende Rolle des Neuen Forums kaum berichten.

Was insbesondere Ulrike Meineke erzürnte, die als gelernte Sekretärin und Bezirksmeisterin im Schreibmaschineschreiben auserkoren war, der AG Öffentlichkeitsarbeit des Neuen Forums vorzustehen und dessen Verlautbarungen unters Volks zu bringen. „Irgendwann wurde uns klar“, erinnert sie sich, „dass wir für eine unabhängige Berichterstattung eine eigene Zeitung brauchten.“ Es bildete sich flugs eine Bürgerinitiative, die schon eine Woche nach Mauerfall zur Gründung einer Altmark-Zeitung aufrief. Zugleich wurde von den Salzwedelern eine Spende erbeten, um unkompliziert das Interesse an einer neuen Zeitung feststellen zu können. „In der Bürgerinitiative Altmark-Zeitung waren alle Parteien und Massenorganisationen vertreten, wir wollten ja niemanden ausgrenzen“, erzählt Ulrike Meineke. Noch ehe sie am 11. Dezember 1989 offiziell eine Lizenz für die AMZ beantragte, wurden „Informationsblätter“ herausgegeben. „Das lief alles mehr oder weniger halb legal ab“, sagt Holger Benecke, der als Mitglied des Neuen Forums ebenfalls an der neuen Zeitung mitwirkte und heute dort Redakteur ist. Die DDR-Gesetze galten ja noch. „Wir haben die Computer und Kopierer, die uns Sympathisanten aus dem Westen geschenkt hatten, im Trabi-Kofferraum, verdeckt mit Playboy-Heften, über die Grenze geschmuggelt.“ Und als die Informationsblätter am 10. Januar 1990 erstmals unter dem Titel „Altmark-Zeitung“ – als erste neue Zeitung in der DDR – erschienen (u. a. mit einem Bericht über die Gründung der Sozialdemokratischen Partei der DDR und Sportergebnissen), lag dafür noch gar keine Lizenz vor. Die kam erst zwei Wochen später aus Ostberlin, allerdings mit der Auflage „kein Druckpapier aus der Volkswirtschaft der DDR“! Aber glücklicherweise übernahm die Elbe-Jeetzel-Zeitung im benachbarten Lüchow den Druck zunächst kostenfrei.

In der Altmark herrschte eine rege Nachfrage nach der wöchentlichen Publikation. „Wir berichteten vor allem über frühere Tabuthemen wie die Stasi oder die Zwangsaussiedlungen. Die Leser schickten uns aber auch Texte mit Heimatgeschichten“, berichtet Ulrike Meineke, die damals so viel ackerte, dass sie in acht Wochen 16ghKilo abnahm. Um der steigende Nachfrage nachkommen zu können, gingen die Bürgerrechtler im März 1990 ein Joint-Venture mit dem Verlag der Allgemeinen Zeitung Uelzen ein. „Wir brauchten einfach das Know-how von Redakteuren und Technikern aus dem Westen“, erzählt Ulrike Meineke. Als im Frühjahr 1990 außerdem einige niedersächsische Verlage Ableger in die Altmark schickten, musste die AMZ auf die Konkurrenz reagieren: Ab 10. April 1990 erschien sie als Tageszeitung. Seitdem hat sich ihre Auflage bei gut 40.000 eingependelt und in einem Teil der Region sogar den Exmonopolisten Volksstimme überholt. Was Ulrike Meineke angesichts der eher konservativen Mentalität der Altmärker besonders stolz macht. „Uns wurde von den Lesern hoch angerechnet, dass wir uns von Anfang an voll auf das Lokale konzentrierten“, sagt die stellvertretende Chefredakteurin.

Weshalb sie sie sich ihren Chefredakteur persönlich aussuchen konnte. Hans-Joachim Wicht 1991 von der Lüchower Konkurrenz abzuwerben fiel ihr freilich nicht schwer, weil der heute 41-Jährige sofort die „einmalige Chance“ gesehen hatte, im Osten „Geschichte mitzuschreiben“.

Das ist ihm insofern gelungen, als er heute vom Osten aus zugleich eine Westzeitung leitet: Wicht ist auch Chefredakteur des Isenhagener Kreisblattes in Wittingen, das zum Zeitungsverbund mit der Allgemeinen Zeitung Uelzen und AMZ gehört. Letztere hat das 150-jährige Uelzener Blatt auflagenmäßig sogar überflügelt, und das mit der alten, 1989 aus dem Westen eingeschmuggelten Redaktionstechnik. Erst im vergangenen Jahr ist neue angeschafft worden.

Die AMZ ist inzwischen auch ein bedeutendes Unternehmen für die Region, mit immerhin 143 festen Arbeitsplätzen. Auf die Frage, was von der Aufbruchsstimmung vor zehn Jahren geblieben sei, antwortet Ulrike Meineke: „Wir reden auch heute nichts schön und laufen dem Stadtgespräch nicht hinterher.“ Holger Benecke räumt allerdings ein, dass die „Themen früher natürlich brisanter waren“. Das kann sich bald ändern, denn im Herbst soll in der Gegend der Castor-Transport rollen. Der Zündstoff für die AMZ ist freilich schon da, seit sie eine Reportage über Gorleben gedruckt hat. Ulrike Meineke sagt: „Das wurde uns teilweise als Parteinahme ausgelegt, ist aber Quatsch. Wir berichten genauso über die Mahnwachen gegen die Transporte.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen