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Rundum-Grün: Ringelpiez ohne Anfassen

An der Kreuzung Friedrichstraße / Kochstraße dürfen Fußgänger sechs Wochen lang testweise gleichzeitig in alle Richtungen laufen. Eine Ampelphase reicht für einen Halbkreis. Autos und Fahrräder müssen länger warten

Die Revolution kommt langsam, aber im Sekundentakt. Genau 27 Sekunden dauert es, normalen Schrittes über zwei Straßen an der Kreuzberger Kreuzung Friedrichstraße / Kochstraße zu schreiten. Seit gestern – denn an diesem historischen Datum wurde nach jahrelangen Querelen zum ersten Mal in Berlin eine so genannte Rundum-Grün-Schaltung für Fußgänger eingeführt.

Der tiefe Einschnitt in den deutschen Straßenverkehr: Springt das Ampelmännchen auf Grün, dürfen die Fußgänger nun gleichzeitig beide Straßen überqueren. Das hat zwei Vorteile. Wer gut zu Fuß ist, kommt um zwei Ecken herum. Niemand muss mehr im Smog warten, um die straßenverkehrsrechtliche Erlaubnis zum Gang in den U-Bahnhof Kochstraße zu erhalten. Und Fußgänger werden nicht mehr durch abbiegende Autos belästigt. Die müssen auf allen vier Seiten warten.

So weit die Theorie. Ein erster Praxistest des auf sechs Wochen angelegten Versuchs zeigt, wie groß die Verwirrung ist. Manch ein Fußgänger will starten, wenn die Autos neben ihm losfahren. Und Autos, die bei gelbrot auf die Kreuzung gefahren sind, schießen beim Räumen der Kreuzung zwischen den Fußgängern durch, die längst Grün haben.

Gänzlich verwirrt sind die Radfahrer: Wer gemeinsam – verkehrswidrig! – mit den Fußgängern losradelt, dem kann plötzlich ein Kinderwagen in die Quere kommen. Aber welcher Radler mag schon wie die Autos bis zu 50 Sekunden warten, bis die Ampel 15 Sekunden lang (Kochstraße) bzw. 9 Sekunden (Friedrichstraße) grün ist? Und die Autofahrer sind genervt: Sie stauen sich an der Ampel bis zur nächsten Kreuzung.

„Das ist ein erster Modell-Versuch“, sagt Verkehrs-Staatssekretärin Maria Krautzberger. Zur Beobachtung wurden sogar eigens Video-Kameras installiert. Unsichtbar, wie der zuständige Referatsleiter in der Verkehrsverwaltung, Konstantin Wardakas, betont. „Damit sich die Leute nicht überwacht fühlen.“

Wenn der 30.000 Mark teure Test positive Ergebnisse zeitigt, sollen weitere Kreuzungen in der Stadt mit der fußgängerfreundlichen Schaltung ausgestattet werden.

Der Fußgängerschutzverein, der eigens von der Verkehrsverwaltung eingeladen war, das freudige Ereignis zu feiern, hat bereits Vorschläge unterbreitet: unter anderen die Kreuzungen Friedrichstraße/Französische Straße, Adalbertstraße/Oranienstraße, Goltzstraße/Hohenstaufenstraße sowie Schönhauser Allee/Sredzkistraße.

Zu früh sollten sich die Fußgänger allerdings nicht freuen. Denn das Nächstliegende bleibt ihnen auch bei Rundum-Grün verwehrt: einfach schräg über die Kreuzung zu laufen.

„Aus Gründen der Verkehrserziehung können wir das nicht erlauben“, sagt Staatsekretärin Krautzberger. Ordnung muss sein – auch bei Revolutionen.

RICHARD ROTHER

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